Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

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Die Kritik der Lehre Schopenhauers. 
herrühren, der so wenig historisch schreibt, als er historisch denkt und 
stets von dem jedesmaligen Eindruck des Gegenstandes, den er be 
leuchtet, ganz erfüllt ist. Widersprüche solcher Art z. B. sind es, 
wenn er jetzt den Islam, jetzt das Judenthum die schlechteste aller 
Religionen nennt; wenn er jede historische Begebenheit als einzig in 
ihrer Art bezeichnet, denn sie geschehe einmal und nie wieder, und 
doch die Geschichte immer dasselbe erzählen läßt; wenn die Begeben 
heiten, je eingehender sie in ihren Einzelheiten geschildert werden, um 
so interessanter, aber auch um so weniger glaubwürdig werden, und 
doch die interessantesten dieser Geschichten, wie die Biographien, 
Autobiographien und Memoiren die zuverlässigsten sein sollen, weil 
die Gesellschaft weit mehr zum Lügen und Belügen verlocke, als die 
Einsamkeit, in der jemand seine Autobiographie schreibt. 
Im Interesse der vornehmen und gelehrten Bildung beklagt er es 
tief, daß die lateinische Sprache als Welt- und Litteratursprache auf 
gehört habe zu herrschen, denn alle Nichtkenner derselben rechnet er zum 
„Pöbel"; er verwünscht den Untergang der lateinischen Weltlitteratur 
und die Entstehung der Nationallitteraturen, während er doch die großen 
Dichter und Schriftsteller der letzteren, wie Petrarca, Shakespeare, 
Calderon, Voltaire, Goethe, auf das Höchste schätzt und verehrt! 
1. Die falsche Abwehr. 
' In dem Gefühle, daß in seinen Schriften widerspruchsvolle Sätze 
genug enthalten sind, hat Schopenhauer, um sich gegen die hieraus 
geschöpften Einwürfe zu decken, zwei Schutzwehren gebraucht, die ich 
nicht gelten lasse. Er hat die Anschauung für widerspruchslos erklärt 
und sich damit die Probleme aus dem Wege geräumt, vielmehr als 
gar nicht vorhanden beseitigt, welche die Eleaten in den Begriffen der 
Zeit und des Raumes, der Größe und der Bewegung entdeckt 
und so gelöst hatten, daß sie die sinnliche Anschauung und deren 
Phänomene für Schein und Täuschung hielten. Wäre die Anschauung 
widerspruchslos, so hätten die Eleaten nicht nöthig gehabt, sie für 
unwahr, und Heraklit nicht nöthig gehabt, den Widerspruch für noth 
wendig zu erklären. Warum rühmt Schopenhauer die Eleaten und 
Heraklit? 
Er hatte noch ein zweites, für alle Fälle parates Schutzmittel 
gegen die unbequemen Einwürfe, Widersprechendes zu lehren, in 
petto. „Widersprüche aufzuzeigen, sei überhaupt die gemeinste und
	        
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