480 Schopenhauers kritisches Verhalten zur Philosophie.
getreten, die nur ihre persönlichen Vortheile im Auge gehabt, die
Sache der Philosophie gar nicht ernstlich genommen und lauter Luft
gebäude, Wolken-Kukuksheime errichtet hätten, weshalb er sie als
„Sophisten, Spaßphilosophen und Windbeutel" kennzeichnet. Darunter
sei Schelling „der Begabteste", Fichte die Karikatur Kants (der Ver-
größerungsspiegel der Kantischen Fehler), Hegel „ der Hanswurst Schellings"
gewesen, dieser „geistlose und plumpe Scharlatan", in Vergleichung
mit welchem Fichte noch ein „Talentmann" zu nennen sei. Kritische
Erörterungen seien hier gar nicht am Platze, weshalb Schopenhauer
dieselben sich auch so gut wie völlig erspart und durch häufige, erboste
und maßlose Schmähungen ersetzt hat, die zwar keinem zur Belehrung,
ihm selbst aber zum Labsal gereicht haben, wie er einmal in einem
Briefe an Frauenstädt, nachdem er den „Erzevangelisten" tüchtig herunter
gemacht hat, in die Worte ausbricht: „So, nun ist es gut, ich bin
meine Galle Io§!" 1
Das Beste seiner Leistungen will Schopenhauer der Anschauung
der wirklichen Dinge, den Werken Kants, den heiligen Schriften der
Hindu und dem Studium Platos zu verdanken haben. Zwischen den
drei letztgenannten herrsche eine wunderbare Uebereinstimmung, denn
die Lehre von der Maja, das platonische Gleichniß von der finsteren
Höhle, worin die Gefangenen nur Schattenbilder zu sehen bekommen
— diese schönste Stelle der platonischen Schriften, mit welcher das
siebente Buch der Staatslehre beginnt, — und Kants Lehre von der
durchgängigen Idealität aller Erscheinungen haben im Wesentlichen
dasselbe Thema.
Wie demnach die Sache der Philosophie gegenwärtig steht, so
handelt es sich in den Augen Schopenhauers lediglich um die Ueberein
stimmung und Differenz zwischen Kant und ihm; er selbst bezeichnet
sich als „Kantianer", als den einzigen, der die Lehre des Meisters
folgerichtig zu Ende gedacht, ihr Problem endgültig gelöst und die
Sphinx vom Felsen gestürzt habe. Um die Differenzpunkte, wodurch
seine Lehre sich von der Kantischen unterscheidet, zu erleuchten und
festzustellen, schrieb Schopenhauer als Anhang seines Hauptwerks die
„Kritik der Kantischen Philosophie"?
* Ebendas. Skizze. S. 19 ff. Ueber das Schimpfen und Schmähen vgl. oben
Buch II. Cap. VII. S. 254—255. - - Die Welt als Wille u. s. f. 1. S. 489-633,
insbes. S. 493-495.