Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Schopenhauers kritisches Verhalten zur Philosophie. 477 
der Moralphilosophie Spinozas, welche sämmtlich aus seiner pantheistischen 
und optimistischen Grundrichtung hervorgehen. Die Formel seines 
Pantheismus heißt: «Deus sive natura». Alles, was die Natur thut, 
ist demnach recht und gut: daher identificirt Spinoza Recht und 
Gewalt, Unrecht und Ohnmacht; demnach müßte jeder Quäler Recht, 
jeder Gequälte Unrecht haben. Dies war Wohl die unausgesprochene 
und falsche Folgerung, welche Schopenhauer aus Spinozas Lehre vom 
Naturrecht gezogen hat. 
4. Den Cartesianischen Dualismus zwischen Denken und Ausdehnung 
endgültig aufzuheben und die Philosophie davon zu befreien, kam Leibniz, 
der das Wesen der Substanz gleichsetzte dem der Kraft, dem Grund 
begriff sowohl des Geistes als der Materie, welche Krafteinheit er mit 
dem Wort Monade bezeichnete. Soweit hat Schopenhauer den 
Charakter der Leibnizischen Lehre richtig erkannt. Daß aber Leibniz 
das Urwesen nicht als das All-Eine, sondern vielmehr als die zahllose 
Vielheit der Monaden gefaßt, daß er das Wesen der Krajt nicht in 
den Willen, sondern in die Vorstellung gesetzt und die Ordnung der 
Monaden als „prästabilirte Harmonie", d. h. eine durch den Willen 
Gottes bestimmte Einrichtung erklärt hat, sind den Grundlehren 
Schopenhauers so durchaus widerstrebende Ansichten, daß dieser in jenem 
nicht den großen Philosophen sieht, sondern nur „den berühmten 
Mathematikus und Polyhistor". 
Zwar übersieht er nicht, daß bei Leibniz die Körperwelt nicht 
mehr, wie bei Descartes und Spinoza, für ein Ding an sich, sondern 
für eine Erscheinung der Monadenwelt gilt, also nur phänomenale 
Bedeutung hat, und er will darin ,,eine Vorahndung" sowohl der 
Kantischen Lehre als seiner eigenen erblicken; aber in der Lehre voni 
Erkennen und Wollen, von der primären Geltung des Jntellects und 
der secundären des Willens findet Schopenhauer bei Leibniz die Carte 
sianischen „Urirrthümer" wieder.^ 
Warum hat Schopenhauer gar nicht beachtet, daß nach Descartes 
der Wille zur Wahrheit das bewegende Princip aller Erkenntniß ist 
und jeder Irrthum eine Willensschuld? Warum hat er gar nicht 
beachtet, daß bei Leibniz Vorstellung und Streben unauflöslich verknüpft 
sind, und die vorwärtsstrebende Kraft, d. i. der Wille die Vorstellungs 
zustände erhöht? Weil er diese Systeme nicht gründlich genug kennen 
i Ebendas. S. 79-81.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.