Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Schopenhauers kritisches Verhalten zur Philosophie. 475 
Wenn man von dieser Lehre den Augustinismus oder den Theis 
mus, der auf die Rechnung des Judenthums kommt, abzieht, so steht der 
Satz vor uns: die einzige Kraft, die es überhaupt giebt, ist der Wille 
in seiner absoluten, unergründlichen Freiheit. «La liberte est un 
mystere», welchen Satz Schopenhauer zum Motto seiner ersten Preis 
schrift gewählt hat. Er spricht von Malebranche stets mit der höchsten 
Anerkennung. 
3. Von der alleinigen Wirksamkeit Gottes zur Lehre von der 
Alleinheit oder der Identität Gottes und der Welt ist nur ein 
Schritt: diesen Schritt thut Spinoza, der zur Feststellung seines 
Pantheismus mehr von Malebranche empfangen und gelernt habe, 
als von Descartes. -Dieses Urtheil ist falsch und gehört zu den zahl 
reichen historischen Irrthümern Schopenhauers, womit seine Verachtung 
der Geschichte und der geschichtlichen Studien sich an ihm gerächt hat. 
Es steht fest. daß Spinoza vor allem durch das Studium der Werke 
Descartes' zur Philosophie und zu seiner eigenen Lehre geführt worden 
ist; es ist nicht richtig, was Schopenhauer zu wiederholten malen er 
klärt, daß Spinoza ein Cartesiancr war, als er seine Darstellung der 
Cartesianischen Principien erscheinen ließ (1663): eine Lehrschrift, ent 
standen aus dem Unterricht eines jungen Mannes, dem er seine eigene 
Lehre nicht mittheilen wollte, mit welcher letzteren er damals schon völlig 
im Reinen war; es ist endlich unmöglich, daß er von Malebranches 
Lehre Einflüsse empfangen hat, da sein System in seiner endgültigen 
Form bereits feststand, als Malebranche sein Hauptwerk „Von der Er 
forschung der Wahrheit" erscheinen ließ (1675). Das alles ist ur 
kundlich dargethan und bewiesen, weshalb eine gegentheilige Behauptung 
nur aus der Unkenntniß der Thatsachen hervorgehen kann. * 
In der Lehre Spinozas erblickt Schopenhauer eine Vereinigung 
hoher Vorzüge und größter Irrthümer. Die Vortrefflichkeit seines 
Systems bestehe in der Lehre von der Alleinheit, worin er mit 
Bruno übereinstimme (dessen Werke Schopenhauer nicht zu den Er 
scheinungen des siebzehnten Jahrhunderts hätte rechnen sollen) und mit 
Scotus Erigena, dessen Werk zum ersten mal im Jahre 1681 zu Oxford 
gedruckt erschien? 
* Vgl. oben Cap. XV. S. 403. Bgk. meine Geschichte der neueren Philo 
sophie (3. Aufl.). Bd. I. Theil II. Buch I. Cap. IV. S. 50 ff. Buch II. Cap. 
VII und IX. S. 198-204. - 2 Schopenhauer: Parerga I. Skizze. S. 6.
	        
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