Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

472 Schopenhauers kritisches Verhalten zur Philosophie. 
Daß Pythagoras, der die Zahl und das Zahlenverhültniß als 
das Wesen der Dinge erkannte, diese ratio nmnerica als Xö^o? be 
zeichnet habe und dadurch der Urheber der Logosidee geworden, die 
durch Philo in das vierte Evangelium gelangt sei, ist Schopenhauers 
irrige Annahme. Der Urheber der (in dem Wesen der griechischen 
Philosophie tief begründeten) Logosidee ist Heraklit; dieselbe wurde in 
dem vierten Evangelium auf die Person und das Leben Jesu über 
tragen, nachdem sie die Lehren Platos, der Stoiker und des Philo 
durchwandert hatte. 
Als der schlimmste Grundirrthum des Aristoteles erscheint ihm 
dessen Theismus, nämlich seine Lehre vom jenseitigen Gott, die mit 
der falschen Vorstellung von dem begrenzten Weltall unmittelbar zu 
sammenhänge und durch die Kopernikanische Kosmologie umgestürzt worden 
sei, da zufolge derselben die Gottheit ihren Wohnort eingebüßt habe. 
Vergleicht man die in den Werken Schopenhauers zerstreuten Stellen 
über Plato und Aristoteles mit den paar dürftigen Paragraphen, die 
in seinen „Fragmenten zur Geschichte der Philosophie" von den beiden 
größten Philosophen des Alterthums handeln, so erscheinen jene weit 
gehaltvoller als diese, die nichts Eindringendes und Erleuchtendes vor 
bringen und recht obenhin sprechen. Dem Sokrates hat er „hohe Geistes 
fähigkeiten" abgesprochen und unter den charakteristischen Schwächen des 
Aristoteles „lebhafte Oberflächlichkeit" verzeichnet? 
3. Die Scholastik. 
Von den mittelalterlichen Philosophen gilt ihm als der bedeutendste 
und tiefsinnigste Scotns Erigena, der Erneuerer der nenplatonischen 
Lehre. — Der scholastische Realismus habe die Universalien, d. h. die 
Eigenschaften der Dinge für das wahrhaft Wirkliche erklärt, der Nomina 
lismus dagegen die Träger derselben, d. h. die einzelnen Dinge. Da 
nun das eigenschastslose Substratum aller körperlichen Erscheinungen 
und Qualitäten die Materie sei, so befinde sich der Nomiualismus 
auf dem Wege zum Materialismus, der eine philosophische Richtung 
der neuen Zeit ausmacht? 
Uebrigens läßt Schopenhauer den scholastischen Zustand der Philo 
sophie so lange andauern, als deren Abhängigkeit von der Religion 
besteht und sie genöthigt ist, das Dasein Gottes, die Substantialität 
1 Parerga I. Fragmente u. s. f. § 5 (Aristoteles). S. 52. — 2 Ebendas. 
§ 9 u. 10.
	        
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