Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Das Fundament der Ethik als deren zweites Grundproblem. 429 
könnte jeder einzelne Mensch auch nicht mehr als einmal auf dieser 
Welt vorhanden gewesen sein? Ist diese Hypothese darum so lächerlich, 
weil sie die älteste ist? Weil der menschliche Verstand, ehe ihn die 
Sophisterei der Schule zerstreut und geschwächt hatte, sogleich darauf 
verfiel?" „Warum sollte ich nicht so oft wiederkommen, als ich neue 
Kenntnisse, neue Fertigkeiten zu erlangen geschickt bin? Bringe ich 
auf einmal so viel weg, daß es der Mühe wiederzukommen etwa nicht 
lohnet? Darum nicht? — Oder weil ich es vergesse, daß ich schon 
dagewesen? Wohl mir, daß ich es vergesse! Die Erinnerung meiner 
vorigen Zustände würde mir nur einen schlechten Gebrauch des gegen 
wärtigen zu machen erlauben. Und was ich jetzt vergessen muß, habe 
ich denn das auf ewig vergessen? Oder, weil so viel Zeit für mich 
verloren gehen würde? — Verloren? — Und was habe ich denn zu 
versäumen? Ist nicht die ganze Ewigkeit mein?" 1 
Lessing lehrt die Palingenesie auf iutellectueller Basis, Schopen 
hauer auf moralischer. In einem Punkte sind beide einverstanden: 
daß die irdischen Wiedergeburten nicht von der Erinnerung an die 
früheren Zustände, also nicht von demselben Jntellect begleitet sein 
können. Eben darin liegt der Unterschied zwischen der Metempsychose 
und der Palingenesie. „Weil ich es vergesse, daß ich schon dagewesen? 
Wohl mir, daß ich es vergesse!" 
Achtzehntes Capitel. 
Das Fundament der Ethik als deren zweites Grundprobtem. 
I. Der Grundsatz und die Grundlage der Moral. 
1. Das Problem. 
Daß die Leiden und das Elend des Daseins nicht größer sein 
können, als sie sind: diese Einsicht bildet das Thema des Pessimis 
mus? Daß die Größe des Leidens und die Größe der Schuld 
einander völlig gleich sind, daß alles Leiden verschuldet, alles Leben 
1 Lessing: Die Erziehung des Menschengeschlechts, ß 94—100. — 2 Schopen 
hauer: Parerga I. Aphorismen z. Lebensweisheit. Cap. VI. Ueber die Lebens 
alter. Schluß S. 580. Vgl. oben Buch II. Cap. VII. S. 267-268. - 2 Die 
Welt als Wille u. s. s. II. Cap. XUVI. S. 657-676. Parerga II. Cap. XI 
und XII. S. 303-328.
	        
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