Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Das Elend des menschlichen Daseins und dessen Fortpflanzung. 411 
Staatslehre hat zur Herstellung tüchtiger Bürger die Auslese der 
Zeugungspaare gefordert. Schopenhauer wünscht, daß „alle Schurken 
kastrirt und alle dummen Gänse in Klöster gesperrt werden" und ver 
spricht sich davon die Ankunft eines neuen perikleischen Zeitalters? 
Seine Vererbungslehre bedarf sowohl der Erweiterung durch den 
Atavismus, d. i. die Lehre von der Erblichkeit der großelterlichen 
Eigenschaften (Goethe hatte die „Urahnen" nicht vergessen), als auch 
der naturgeschichtlichen und physiologischen Begründung auf der breiten 
Basis sicherer und geordneter Thatsachen. Beides hat Darwin ge 
leistet. Höchst wichtige Beiträge zur Lehre von der menschlichen Ver 
erbung und Belastung liefert die moderne Psychiatrie. Die heutige 
Wissenschaft hat auch das Fatum unter das Mikroskop gebracht und 
das dunkle Schicksal der Menschen aufgelöst in ihre Eltern und Vor 
eltern. Wir passiren unsere Eltern nicht bloß wie einen Durchgang, 
sondern bringen sie wieder mit auf die Welt; die Vorfahren erscheinen 
in den Nachkommen gleich Gespenstern und Revenauts, unter welchen! 
Namen („Gjengangere") Ibsen das Schicksal der Vererbung dramatisch 
darzustellen versucht hat. Es ist wohl der erste Versuch dieser Art. 
2. Die Metaphysik der Geschlechtsliebe. 2 
Aus der Erblichkeit der Eigenschaften folgt die Eigenthümlichkeit 
der Individuen, welche die nächste Generation ausmachen: die Personen, 
die den folgenden Act in dem großen Drama des Menschenlebens 
spielen sollen. Daß es an den Acteurs nicht fehlt, dafür sorgt der 
Geschlechtstrieb. Wie aber diese Acteurs beschaffen sind, und auf 
welche Art die nächste Generation zusammengesetzt sein wird: dafür 
sorgt der individualisirende oder auswählende Geschlechtstrieb, d. i. die 
Geschlechtsliebe oder der Eros. 
In der Reihenfolge der Generationen besteht das Leben der Gat 
tung, das unsterbliche Dasein des Willens zum Leben: daher giebt 
es für diesen keine höheren und wichtigeren Zwecke, als die der Gattung, 
die durch die Geschlechtsliebe erfüllt werden, nur durch sie. Eben darin 
' Die Welt als Wille u. s. f. Bd. II. Cap. XLIII. S. 591-607. In den 
Parerga II. Cap. IX. ß 128. S. 273 heißt es weniger derb: „Will man utopische 
Pläne, so sage ich: die einzige Lösung des Problems wäre Despotie der Weisen 
und Edlen einer echten Aristokratie, eines echten Adels, erzielt auf dem Wege der 
Generation, durch Vermählung der edelmüthigsten Männer mit den klügsten 
und geistreichsten Weibern. Dieser Vorschlag ist meine Utopie und meine 
Republik des Plato." - - Die Welt als Wille u. s. f. Bd. II. Cap. XLIV. S. 607-651.
	        
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