Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

400 Der Uebergang zur Ethik. 
eingeschränktes Können. Daher ist die politische Freiheit eine Art 
der physischen. 
Die intellectuelle Freiheit ist die Freiheit des intellektuellen 
Könnens, d. h. des Erkennens und Urtheilens, also die Vernunft- und 
Geistesfreiheit, die Abwesenheit aller Hindernisse, welche die Ausübung 
derselben einschränken und hemmen, als da sind die Unreife des Alters, 
die Verdunkelungen des Bewußtseins natürlicher Art, wie im Schlaf, 
oder krankhafter, wie durch pathologische Gehirnstörungen u. dgl. Die 
intellectuelle Freiheit besteht daher in der ungehemmten Ausübung der 
vernünftigen Urtheilskrast, in der Prüfung und Wahl der Motive: 
das dadurch bestimmte Handeln nennt man willkürlich oder freiwillig. 
Die Alten kannten keine andere Art der Freiheit als das sxoümov 
wie Sokrates, Plato und Aristoteles gelehrt haben. Wir wissen bereits 
daß und wodurch die Wahl der Motive bestimmt, also das willkürliche 
oder freiwillige Handeln determinirt wird; daher hat Aristoteles mit 
Unrecht das sxoümov dem avapiatov entgegengesetzt. Mit dieser Frei 
heit rechnet die Strafgerechtigkeit, indem sie durch ihre Gesetze den 
Motiven zur Ausübung des Unrechts Motive gegenüberstellt, die stärker 
wirken und den Willen zur Unterlassung des Unrechts determiniren sollen. 
Die fälschlich sogenannte moralische Freiheit besteht in der Ein 
bildung, thun und lassen zu können, was man will. Herkules am 
Scheidewege zwischen Tugend und Laster! Der Wille im Gleichgewichte 
zwischen verschiedenen und entgegengesetzten Richtungen! Ich kann thun 
und lassen, was ich will, wie die Wetterfahne bei ungestümem Winde 
sich bald nach dieser, bald nach jener Himmelsgegend richten und den 
ganzen Umkreis der Himmelsrose durchwandern kann: dies ist die Frei 
heit (nicht des Könnens, sondern) des Wollenkönnens, das eingebildete 
Wollen, das unwirkliche, bloß in der Imagination spielende, welches 
nicht zur That führt, nicht im V6lle, sondern in bloßen Velleitäten 
besteht, wie es Schopenhauer treffend nennt und in Gleichnissen darstellt. 
Diese Art Wahlfreiheit gleicht dem Hausvater, der nach des 
Tages Last und Hitze einen freien Abend vor sich sieht. Nun kann 
er thun, was er will: er kann einen Freund besuchen, auch einen 
Spaziergang machen, auch den Thurm besteigen, auch in das Theater 
gehen, sogar in die weite Welt laufen, — wenn er will. Er will aber 
von alledem nichts, sondern geht nach Hause zu seiner Frau. Um 
seine Freiheit zu beweisen, würde er vielleicht spazieren gehen, aber 
gewiß nicht in die weite Welt!
	        
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