Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

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Der Uebergcmg zur Ethik. 
Das Thema des vierten und letzten Buches unseres Hauptwerks 
heißt „Der Welt als Wille zweite Betrachtung: bei erreichter Selbst 
erkenntniß die Bejahung und Verneinung des Willens zum Leben", 
nach dem Zeugnisse des Philosophen selbst das inhaltsschwerste und 
wichtigste seiner Bücher, auch das bei weitem ausführlichste, wenn man 
zu den neunzehn Paragraphen des Hauptwerks die beiden Grund 
probleme der Ethik, die elf Capitel der Ergänzungen und noch sieben 
der Parerga hinzurechnet. 1 Unter den ergänzenden Betrachtungen 
sind zwei, die zu den interessantesten und lehrreichsten Abhandlungen 
gehören, die Schopenhauer geschrieben hat: „Von der Erblichkeit der 
Eigenschaften" und „Von der Metaphysik der Geschlechtsliebe". Von 
den früheren Abschnitten ist für die gegenwärtigen Betrachtungen keiner 
belangreicher als die Lehre „Vom Primat des Willens im Selbst 
bewußtsein"? 
II. Die Gewißheit des Lebens und des Todes. 
Die Menschen sind individuelle Willenserscheinungen, selbstbewußt 
und persönlich, nicht bloß der anschauenden, sondern auch der ver 
nünftigen Weltbetrachtung fähig, wodurch sie den Zusammenhang der 
Dinge, die Kette der Erscheinungen, den Weltlauf erkennen und des 
eigenen Todes gewiß sind. 
Es ist vollkommen gewiß, daß die Individuen in der Zeit an 
fangen und enden, daß sie entstehen und vergehen, erzeugt werden und 
sterben müssen, daß Leben und Tod nothwendig und untrennbar zu 
sammengehören, nicht bloß als die Grenzpunkte der Lebensdauer, sondern 
als die Factoren des Lebensprocesses selbst, denn dieser besteht in einem 
fortwährenden Stoffwechsel, während die Form oder der Typus der 
Gattung beharrt. Wie in dem Ernährungsproceß Reproduction und 
Excretion mit einander verknüpft sind, die Erneuerung des Leibes und 
das Abwerfen der verbrauchten und unnützen Stoffe, so in dem gesammten 
Lebensprocesse Erzeugung und Tod. Wenn der ganze Leib verbrauchter 
und unnützer Stoff geworden ist, stirbt das Individuum. Wie in dem 
periodischen Schlaf eine Rückkehr in den bewußtlosen Lebenszustand 
1 Parerga. I. §§ 53—70. S. 317—487. Die beiden Grundprobleme der 
Ethik (1841). Fr. IV. S. 1—27:5. Die Welt als Wille u. s. f. II. Cap. XL-L. 
S. 527—743. Parerga II. Cap. VIII—XIII. S. 215—346. — * S. oben Buch II. 
Cap. X. S. 311-324.
	        
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