Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

20 Der zweite Abschnitt der Jugendgeschichte. 
und anregend zu wirken durch die Art, wie sie sich mittheilte und wie 
sie empfing. 
Gleich in den ersten Tagen hatte sie Goethen besucht, aber nicht 
angetroffen, alsbald überraschte er sie durch seinen schnellen und schein 
losen Gegenbesuch; sie war durch Fräulein von Göchhausen der Herzogin 
Amalie vorgestellt und mit Wieland bekannt gemacht worden. Es 
dauerte nicht lange, so war Johanna Schopenhauer der Mittelpunkt 
eines geselligen Kreises von unvergleichlicher Art. Nun interessiren uns 
vor allem die brieflichen Nachrichten, die sie dem Sohne gab. 
Einige Tage nach der Schlacht hatte Goethe sich mit Christiane 
Vulpius, seiner bewährten tapferen Freundin, trauen lassen und die 
natürliche Ehe, die er schon achtzehn Jahre mit ihr geführt, in eine 
vollgültige verwandelt. Aber von der weimarschen Gesellschaft wurde 
ihm die gesetzliche Form seiner Ehe noch mehr verübelt als die unge 
setzliche, da sie eine sociale Erhöhung und Anerkennung der Frau zur 
Folge hatte, die man derselben nicht gönnte. Ganz anders dachte 
Frau Schopenhauer; sie freute sich aufrichtig ihrer Bekanntschaft, als 
ihr Goethe seine Frau schon am nächsten Tage zuführte (20. October 
1806). Ein treffendes Wort darüber schrieb sie ihrem Sohn: „Wenn 
Goethe ihr seinen Namen giebt, so können wir ihr wohl eine Tasse 
Thee geben". 
Goethe hat diese Aufnahme dankbar empfunden und ihr vergolten. 
Bald fühlte er sich wohl und heimisch in ihrem Hause und nahm an 
den Gesellschaftsabenden, die sie zweimal wöchentlich hielt, den regsten 
Antheil; jedesmal stand für ihn ein kleiner Tisch mit Material zum 
Zeichnen in Bereitschaft. Unter den Genrebildern, die uns Goethen im 
geselligen Verkehr zeigen, würde eines der anmuthigsten und eigen 
artigsten fehlen, wenn Johanna Schopenhauer ihre weimarschen Gesell 
schaftsabende dem Sohne nicht so anschaulich beschrieben hätte. 
Hier las Goethe eines Abends mit vertheilten Rollen seine „Mit 
schuldigen", ein anderes mal las er schottische Balladen, dann Calderons 
standhaften Prinzen, der mehrere Abende in Anspruch nahm. Da diese 
Tragödie, als er sie aufführen sah, einen so außerordentlich tiefen 
Eindruck auf Arthur Schopenhauer gemacht und in seinen Schriften 
ihm wiederholt zur Erleuchtung seiner Heilslehre gedient hat, so ist uns 
der Brief seiner Mutter, worin sie ihm die eben erwähnte Vorlesung 
schildert, in mehr als einer Hinsicht merkwürdig. „Goethe verläßt mich 
nicht", schrieb sie den 23. März 1807, „er hat jeden Abend seinen
	        
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