Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

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Das Stufenreich der Künste. 
Ebendas. Bd. II. Cap. XXXVI. 
3. Die Malerei. (Die Allegorie.) 
Das Gebiet der Malerei ist weit umfassender, als das der Sculptur, 
da sie außer der landschaftlichen Schönheit und Erhabenheit der Natur, 
außer der menschlichen Schönheit und Grazie, diesem Hauptgegenstande 
der Sculptur, auch die charakteristischen Erscheinungen der Menschen 
welt, die Affecte und Leidenschaften, den Ausdruck des Gesichts und 
der Geberde, das Wechselspiel des Erkennens und Wollens, die be 
deutsamen Vorgänge und Scenen des Lebens darzustellen vermag: sie um 
faßt die Gebiete der Landschaftsmalerei, des Porträts und der Historien 
malerei, zu welcher letzteren Schopenhauer auch das Genrebild rechnet. 
Ein elender von Alter und Krankheit erschöpfter Körper kann 
sehr wohl ein Gegenstand der Maler sein, wie der sterbende heilige 
Hieronymus des Domenichino ein Meisterstück ist; während Donatellos 
Statue des vom Fasten abgezehrten Johannes des Täufers trotz der 
meisterhaften Ausführung kein Werk der Sculptur sein solltet 
Unter den bedeutsamen Scenen des Lebens sind keineswegs nur 
solche zu verstehen, die der Weltgeschichte oder der biblischen Geschichte 
angehören und eine äußere Bedeutsamkeit haben, d. h. folgenreiche Be 
gebenheiten sind. Um eine solche berühmte Begebenheit, wie man sie 
nennt, in dem Bilde zu erkennen, dazu bedarf es einer Erklärung 
durch Gründe und Folgen, durch Begriffe und Worte, die zu dem 
Bilde hinzugedacht werden müssen, weshalb Schopenhauer die äußere 
Bedeutsamkeit auch als die nominale in: Unterschiede von der realen 
bezeichnet, welche durch die dargestellten Figuren selbst redet. So 
ist z. B. die Auffindung des Moseskindes durch die ägyptische Königs 
tochter eine sehr berühmte Begebenheit von welthistorischer Bedeutung, 
aber man kann im Bilde dem Findelkinde nicht ansehen, daß 
es Moses, und der vornehmen Frau nicht ansehen, daß sie eine 
ägyptische Prinzessin ist, es sei denn, daß ägyptisches Kostüm und 
ägyptische Localitäten Ideen anregen, die uns auf die Sprünge bringen. 
Die Auffindung des Moses ist die nominale Bedeutung des Bildes, 
die eines Findelkindes die reale. 
Wenn man nun von der äußeren, nominalen, unbildlichen, un 
malerischen Bedeutung absieht, so fällt aller Unterschied zwischen der 
Historien- und Genremalerei weg, und es bleibt nur die innere 
reale Bedeutung übrig, die sich uns in der Scene selbst vor Augen
	        
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