Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

16 Biographische Nachrichten. Das Zeitalter Schopenhauers. 
Kindern war nicht im Stande, das Geschäft des Mannes fortzuführen, 
sie löste es auf und wählte Weimar zu ihrem künftigen Aufenthaltsort; 
Arthur aber mußte in Hamburg zurückbleiben, um seine kaufmännischen 
Lehrjahre zu vollenden. 
IV. Die Grundzüge seines Charakters. 
1. Anerzogene und angeerbte Gemüthsart. 
Wir dürfen diesen ersten Abschnitt seiner Jugendgeschichte nicht 
beschließen, ohne eine deutliche Vorstellung von der ihm angeborenen 
und anerzogenen Gemüthsart mitzunehmen, die gleichsam die Basis 
seiner Persönlichkeit, den Grundbaß seines Lebens ausmacht. 
Er hat mit fünf Jahren seine Vaterstadt und Heimath verloren 
und nie eine zweite gefunden: so hatte es der väterliche Wille gefügt. 
Er hat der väterlichen Absicht und Führung gemäß im Auslande und 
auf Reisen eine fremdländische und kosmopolitische Erziehung empfangen, 
deren Vortheile er stets als eine Wohlthat gepriesen hat, die er dem 
Vater nicht genug danken könne: daher kann man sich nicht wundern, 
daß ihm die Heimaths- und Vaterlandsgefühle, die volksthümlichen 
und nationalen Sympathien und Antipathien völlig gefehlt haben, 
daß er diesen Mangel nicht als eine Entbehrung, sondern als einen 
Vorzug empfunden, den er seine „liberale Bildungsart" nannte, daß 
ihm das deutsche Vaterland nie mehr bedeutet hat, als die deutsche 
Sprache und Litteratur, so weit beide ihm und seiner Geistesart homogen 
waren. Es hat vielleicht nie jemand gegeben, der den Werth und 
die Macht der Litteratur so hochgehalten und so überschätzt hat, wie er. 
Noch tiefer liegen die angeborenen Charakterzüge, die bis in die 
Wurzeln seines Daseins hinabreichen. Seine eigene Vererbungslehre, 
nach welcher die Willensart väterlicher, die Geistesart mütterlicher 
Herkunft sein soll, scheint sich an ihm selbst bestätigt zu haben, und seine 
unablässige Selbstergründung ist wohl der erste und nächste Weg ge 
wesen, der ihn zu dieser Lehre geführt hat. Das heftige, ungestüme 
Wollen, diese so hervorstechende Eigenschaft sowohl seines Vaters als 
seines Großvaters Trosiener, war auch sein unveräußerliches Erbtheil. 
2. Das väterliche Erbtheil. 
In der väterlichen Familie waren Geisteskrankheiten einheimisch: 
eine wahnsinnige Großmutter, zwei wahnsinnige Oheime, ein von 
Anwandlungen des Wahnsinns heimgesuchter Vater, der wohl zuletzt dem
	        
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