Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Das Genie und die Kunst. 
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aus unserem Selbstbewußtsein unmittelbar einleuchte, die in uns wirk 
same Kraft sei, der Kern unseres Wesens. Daraus ergaben sich nun 
eine Reihe gewichtiger Folgerungen, welche Schopenhauer in seinem 
Hauptwerke zog, immer den Satz im Auge, daß die Idee im Platonischen 
Sinn die Vorstellung des Dinges an sich sein müsse. Der Wille ist 
das einzige von dem Satze des Grundes (Zeit, Raum, Causalität) 
unabhängige Wesen und darum gleichzusetzen dem Dinge an sich; der 
Wille ist die einzige uns erkennbare Kraft und darum gleichzusetzen aller 
Kraft. Alle Dinge sind Krafterscheinungen, also Willenserscheinungen, 
die Welt ist ein Stufenreich der Objectivationen des Willens, jede 
ihrer Stufen ein unvergänglicher Typus, einzig in seiner Art, ver 
vielfältigt in zahllosen Erscheinungen, die unaufhörlich entstehen und 
vergehen, während der Typus unwandelbar sich gleich bleibt. Dieser 
Typus ist die Idee im Platonischen Sinn, er ist die Erscheinung oder 
Objectivation des Willens, also die Vorstellung des Dinges an sich. 
Hier sind die Verbindungsglieder dargelegt, welche im Kopfe Schopen 
hauers Kant und Plato verknüpft haben; hier ist der Punkt, worin 
beide im Kopfe Schopenhauers zusammentrafen. 
2. Der Veda und der Buddhaismus. 
Es ergab sich ferner, daß der Urwille, unabhängig und frei, wie 
er ist, von aller Vielheit und aller Nothwendigkeit, das All-Eine sei, 
das in allen Erscheinungen identische Urwesen, ganz und ungetheilt in 
jeder. Zu seinem Erstaunen fand Schopenhauer die Einheitslehre in 
den Upanischaden des Veda. Dieser Urwille, blind und erkenntnißlos, 
ruhe- und rastlos, wie er ist, immer gedrängt zum Dasein und zu 
dessen Vermehrung und Steigerung, erzeugt eine Welt voller Unruhe 
und Angst, voller Noth und Leiden, eine elende, erlösungsbedürftige, 
nur durch die Verneinung des Willens zum Leben erlösbare Welt. Zu 
seinem Erstaunen fand Schopenhauer diese Weltansicht, atheistisch und 
pessimistisch gerichtet, wie sie ist, in der Religionslehre des Buddha. 
Und daß die Welt der Erscheinungen, für sich genommen, eine 
Welt des Scheines und der Täuschung (Maja) sei: in dieser idealistischen 
Ansicht fand er den Buddhaismus mit dem Brahmanismus einverstanden 
und mit beiden die Lehren Platos und Kants in Uebereinstimmung. 
So vereinigten sich in seinem Kopfe die beiden indischen Religionslehren, 
von denen er die Upanischaden des Veda als Werke einer fast über- 
Fifcher, Gesch. d. Philos. IX. 2. Allst. N. A. 22
	        
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