Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

382 
Der Traum. 
der Fall war, der unsrem Philosophen als der Typus dieser Art von 
Hallucinationen gilt. Nikolai selbst hat einen Vortrag darüber in der 
Berliner Akademie gehalten (1799) und ist als „Proktophantasmist" 
von Goethe im Walpurgisnachtstraum aufgeführt und verspottet worden? 
2. Die Visionen. 
Wie es im Schlaf bedeutungsvolle Träume, so giebt es auch im 
wachen Zustande bedeutungsvolle Wahrnehmungen durch das Traum 
organ, deren Gegenstände Schopenhauer sämmtlich unter dem Namen 
der Visionen befaßt. Alle Visionen, ob sich dieselben nun auf gegen 
wärtige, künftige oder vergangene Dinge und Personen beziehen, ob 
sie die sehende Person selbst oder andere zum Gegenstand haben, sind 
magische Wahrnehmungen und Wirkungen. Es ist etwas in uns, 
unabhängig von Raum und Zeit, in seinem Erkennen allwissend, in 
seinem Wirken allmächtig: der Kern unseres Wesens, das Ding an 
sich, der Wille. Alles magische Wahrnehmen und Wirken nimmt 
seinen Weg unmittelbar durch das Ding an sich. 
Hören wir den Philosophen selbst. „Der Ursprung dieser be 
deutungsvollen Visionen ist darin zu suchen, daß jenes räthsel- 
hafte, in unserem Innern verborgene, durch die räumlichen und zeit 
lichen Verhältnisse nicht beschränkte und insofern allwissende, dagegen 
aber gar nicht ins gewöhnliche Bewußtsein fallende, sondern für uns 
verschleierte Erkenntnißvermögen. — welches jedoch im magnetischen 
Hellsehen seinen Schleier abwirft — ein Mal etwas dem Individuum 
sehr Interessantes erspäht hat, von welchem nun der Wille, der ja der 
Kern des ganzen Menschen ist, dem cerebralen Erkennen gern Kunde 
geben möchte; was dann aber nur durch die ihm selten gelingende 
Operation möglich ist, daß er einmal das Traumorgan im wachen 
Zustande aufgehen läßt und so dem cerebralen Bewußtsein, in an 
schaulichen Gestalten, entweder von directer oder von allegorischer Be 
deutung, jene seine Entdeckung mittheilt". ^ Wird nach dem Wege 
der magischen Einwirkung gefragt, so antwortet der Philosoph: „Es 
ist der Weg, der nicht am Gängelbande der Kausalität durch Zeit 
und Raum geht. Es ist der Weg durch das Ding an sich."^ 
i Ebendas. S. 294—295. Vgl. Kraepelin: Psychiatrie. S. 49. — - Eben- 
das. S. 297. ^Beiläufig: Der angeführte Satz liefert ein Beispiel der langen, 
keineswegs längsten Sätze, die sich bei Sch. finden.^ — 3 Ebendas. S. 322.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.