Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Das Organ und die Arten des Traums. 
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Gehirn empfängt und zu Traumbildern verarbeitet, nur die Eindrücke 
aus dem Innern des Organismus übrig, aus der Werkstätte unseres 
organischen Lebens, dessen Functionen durch das sogenannte sympathische 
oder plastische Nervensystem (die Ganglien mit ihren Knoten und Ver 
flechtungen, die durch dünne Fäden mit dem Gehirn zusammenhängen) 
geleitet werden. Diese Functionen sind die unwillkürlichen Leibes 
actionen, wie der Blutumlauf, die Herzthätigkeit, die Athmung, die 
Verdauung, die Secretion u. s. f. Verbrauchte Stoffe werden ersetzt, Un 
ordnungen in der Leibesverfassung beseitigt, Störungen und Verletzungen 
wiederhergestellt. In dieser unwillkürlichen und unbewußten Wirksamkeit 
des plastischen Nervensystems zeigt sich die reproductive, wiederher 
stellende, heilende Lebenskraft (vi8 naturae medicatrix). 
8. Das Gehirn als Traumorgan. 
Gewisse Spuren und Eindrücke davon gelangen bis in das große 
Gehirn, den Ort der Bilder, Vorstellungen und Motive, ohne daß sie 
bei Tage von dem wachen, mit allerlei Tagesgeschäften erfüllten Be 
wußtsein gemerkt werden; erst das schlafende Gehirn fängt an, diese 
inneren Eindrücke und Erregungen zu spüren, wie man erst in der 
Stille der Nacht die Quelle rieseln hört und erst in der Dämmerung 
die brennende Kerze leuchten sieht. 
Gebt dem Gehirn Eindrücke, und es macht, wie es nicht anders 
kann, daraus Gegenstände oder Anschauungen. Gebt ihm äußere 
Eindrücke vermöge der Sinnesorgane, und es macht daraus die Außen 
oder Sinnenwelt. Gebt ihm innere Eindrücke vermöge des plastischen 
Nervensystems, und es macht daraus ebenfalls Gegenstände und An 
schauungen, aber keine Sinnenwelt, sondern Traumbilder oder Traum 
erscheinungen, denen man den Urstoff, woraus sie entstanden sind, 
ebenso wenig ansieht, wie dem Chhmus den Urstoff der Speise. Die 
cerebralen Functionen sind dieselben, ob das Gehirn wacht oder schläft. 
In beiden Zuständen ist die Anschauungsform seine Sprache. Wie 
das wache Gehirn das Denkorgan, so ist das schlafende Gehirn das 
Traumorgan. So nennt es Schopenhauer. 
Wie die Natur oder Sinnenwelt als unsere gemeinsame Welt 
vorstellung das erste Gesicht genannt zu werden verdient, so möchte 
Schopenhauer den Traum in seiner eben erklärten Urform (Urphänomen 
des Traums) das zweite Gesicht nennen, wenn diese Bezeichnung bei
	        
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