Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

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Wille und Causalität. 
das böse Weib im Juvenal: «Hoc volo, sic jubeo. Stat pro ratione 
voluntas.» Wenn man in einer Versammlung den Willen der Menge, 
ihre Affecte und Parteileidenschaften wider sich hat, so helfen keine 
Vernunftgründe, man wird verlacht und überschrieen; wenn man aber 
den Willen der Leute für sich hat und ihnen nach dem Munde redet, 
so wird das allerdümmste Zeug unfehlbar beklatscht und bejubelt. 8tat 
pro ratione voluntas! 
3. Kopf und Herz. 
Jenen Primat vorausgesetzt, müßte, wo viel Verstand ist. viel 
Wille sein, während die Erfahrung in zahllosen Beispielen das Gegen 
theil lehrt. Und vergleicht man die Vorzüge und Fehler des Jntellects 
mit denen des Willens, so zeigt sich die gänzliche Verschiedenheit beider 
Grundvermögen, da die Vorzüge des einen keineswegs mit den Vor 
zügen, auch nicht mit den Fehlern des -anderen Hand in Hand gehen. 
Die höchste intellectuelle Eminenz kann mit der größten moralischen 
Verworfenheit zusammen bestehen, wie dies Pope von Bacon, Rosini 
von Guicciardini behauptet hat. Der gute Kopf kann ein guter Mensch 
sein, aber es ist nicht nothwendig; ebenso verhält es sich umgekehrt. 
Es heißt zwar, daß die Dummen in der Regel gutmüthig seien, 
aber diese Sage gründet sich wohl darauf, daß sie im Umgänge sehr- 
bequem sind, weil sie andern das Gefühl ihrer intellectuellen Ueber- 
legenheit sowohl verursachen als gönnen. Denn, wie Hobbes in seiner 
Schrift «De cive» sagt, jeder liebt es mit Leuten zu verkehren, in Ver 
gleichung mit welchen er sich selbst erhaben fühlen kann (quibuscum se 
conferens magnifice de se ipso sentire possit). Ich wundere mich, 
daß Schopenhauer an dieser Stelle nicht die Rede des Königs in Tiecks 
„gestiefeltem Kater" angeführt hat: „Und dann thuts einem Herrn, 
wie mir, auch wohl, einen Narren zu sehen, der dümmer ist, der die 
Gaben und die Bildung nicht hat; man fühlt sich mehr und ist dank 
bar gegen den Himmel. Schon deswegen ist mir ein Dummkopf ein 
angenehmer Umgang." 
Derselbe Grund, der die untergeordneten Köpfe allgemein beliebt 
macht, hat bei den bedeutenden und geistvollen das Gegentheil zur Folge: 
diese lasten auf den andern und sind ihnen höchst unbequem, darum 
gemeiniglich verhaßt. Nach einem abyssinischen Wort ist der Diamant 
unter den Quarzen verfehmt. „Wenn jemand unter uns excellirt", sagt 
persistirend Helvetius, „so möge er fortgehen und wo anders excelliren".
	        
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