Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

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Wille und Causalitat. 
nach oben richtet, jene dem feuchten Erdreiche, dieser der Luft und 
dem Lichte zustrebt; daß die Rankengewächse und Schlingpflanzen die 
Stütze aufsuchen, daß die Pflanzen die Gegenwart und Abwesenheit 
des Lichtes spüren, und dieses sich zu ihrem Wachsthum verhält, wie 
das Motiv zur Handlung: in allen diesen Thatsachen bekunden die 
spontanen Bewegungen der Pflanzen, die bis an die Grenze der 
willkürlichen reichen, ein Streben, das nichts anderes sein kann, als 
Wollen. Die Pflanzen haben noch keine Erkenntniß und kein Erkenntniß 
organ, weil sie deren nicht bedürfen. 
Je intellectueller die Ursachen werden, um so verschiedener davon 
werden die Wirkungen: jene macht der Jntellcct, diese der Wille. Je 
mehr sich daher der Jntellect vom Willen sondert, um so mehr sondern 
sich die Wirkungen von den Ursachen. In den klugen, durch den 
Verkehr mit den Menschen hochentwickelten Thieren zeigen sich schon die 
ersten Spuren des frei werdenden Jntellects: wenn z. B. die Hunde am 
Fenster sitzen und gaffen? 
Jene zunehmende Dunkelheit der Erscheinungen wird plötzlich er 
hellt, sobald wir nämlich auf unserem Wege durch die Stufenreihe 
der Dinge zu dem Punkte gelangt sind, wo das urtheilende Subject 
und das zu beurtheilende Object zusammenfallen: dieser Punkt sind wir 
selbst. Hier geht uns ein neues Licht auf, das nicht von der Außen 
welt kommt, sondern aus unserem eigenen Innern. Der Weg der 
Weltbetrachtung läßt sich mit der Fahrt durch die Grotte des Posilipp 
vergleichen, in der es immer dunkler und dunkler wird, bis das Licht 
von der entgegengesetzten Seite hereinfällt, und nun wird es immer 
heller und heller. In diesem Lichte sieht das erkennende Subject 
sich selbst: es ist Leib, sensibler, bewegter, willkürlich bewegter Leib, 
es ist Wille; alle Leiber, alle Körper sind Willenserscheinungen, der 
Wille ist das Wesen der Welt. In diesem Lichte erhellt sich die Welt 
bis in ihren innersten Grund. „Das also war des Pudels Kern!" 
ruft Faust, wie aus dem Wechsel der Gestalten und colossalen Ver 
puppungen endlich Mephistopheles hervortritt! 
Die Erscheinungen der Welt, von außen betrachtet, sind darin 
identisch, daß sie alle ausnahmslos von dem Gesetze der Causalität 
beherrscht werden; die Erscheinungen der Welt, von innen betrachtet, 
sind darin identisch, daß sie die Objectivationen eines und desselben Wesens 
* Ebendas. S. 86—90. Vgl. Ebendas. Pflanzenphhsiologie. S. 56—78.
	        
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