Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Der Primat des Willens. 
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Causalität stattfindet; als ob bewußte Willensactionen nicht motivirte 
Handlungen, und Motive nicht Ursachen wären, also den Begriff der 
Causalität nicht erzeugen, sondern vielmehr voraussetzen! Daß die 
Causalität auf der Erfahrung beruhe, war das Grunddogma der eng 
lischen Philosophie und des Empirismus, welches Kant von Grund aus 
widerlegt hat. Von diesem Dogma, in Folge seiner Unkenntniß der 
Kantischen Philosophie, zeigt sich auch Herschel befangen. 
Seine falsche Voraussetzung enthält die beiden Grundfehler der 
englischen Erfahrungsphilosophie, welche erstens Ursache und Kraft identi- 
ficirt, zweitens Kraft und Wille unterscheidet. Vielmehr sind Ursache 
und Kraft zu unterscheiden, Kraft und Wille zu identificiren: in diesen 
beiden Punkten hängt, wie in ihren Angeln, die ganze Lehre Schopen 
hauers; daher bietet sich hier die Gelegenheit, ihre Grundgedanken 
so bündig und klar wie möglich darzustellen. 
2. Zwei Bewegungsarten und deren Ursachen. 
Jener doppelte Irrthum, bis in seine Wurzeln verfolgt, beruht 
darauf, daß man zwei grundverschiedene Principien angenommen hat, 
um die Bewegungen der Körper zu erklären: diese erfolgen entweder 
aus inneren oder aus äußeren Ursachen, jene seien psychisch, diese 
mechanisch; die Quelle der inneren Bewegung (Selbstbewegung) sei Wille 
(Seele), die der äußeren sei Mittheilung durch andere Körper. Diese 
Ansicht findet sich ausgesprochen von Plato in seinem Phädrus, von 
Aristoteles in seiner Physik, von Rousseau in dem deistischen Glaubens 
bekenntniß seines ]£mile. Demnach soll es zwei Arten der Bewegung 
geben, deren eine aus dem Willen, die andere aus mechanischen Ur 
sachen entspringe; beide Arten der Bewegung seien grundverschieden: 
die inneren seien gewollt, aber nicht verursacht; die äußeren seien ver 
ursacht, aber nicht gewollt. 
Eben diese Lehre ist grundfalsch. In Wahrheit ist jede Bewegung 
sowohl gewollt als verursacht. „Es giebt nur ein einziges, einförmiges, 
durchgängiges und ausnahmsloses Princip aller Bewegung: ihre 
innere Bedingung ist Wille, ihr äußerer Anlaß Ursache, welche nach 
Beschaffenheit des Bewegten auch in Gestalt des Reizes oder des Motivs 
auftreten kann." 
1 Ueber den Willen in der Natur. Physische Astronomie. S. 80—86. 
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