Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Der Wille in der Natur. 
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der Plan seines Baus gegenwärtig und thätig gewesen sei. Dies ist 
die falsche Art, die innere Zweckmäßigkeit der thierischen Organisation 
zu verstehen und auszulegen, sie ist darum grundfalsch und verkehrt, 
weil sie die Sache buchstäblich auf den Kopf stellt: sie macht den Leib 
zum Product des Jntellects, während dieser das Product des Leibes 
ist; sie läßt die leibliche Organisation aus der Vernunft und dem 
Denken resultiren, während diese aus jener hervorgehen. Nun wird 
die durchdachte und erkannte Zweckmäßigkeit in den Organismus hinein- 
und seiner Entstehung untergelegt, welche falsche Art, die lebendigen 
Körper aufzufassen und zu erklären, Kant in'seiner Kritik der Urtheils 
kraft bis auf den Grund erleuchtet hat. Wer da meint, daß die Ver 
nunft, weil sie aus der Organisation des menschlichen Leibes hervorgeht, 
auch in dem Bau desselben stecken müsse, gleicht jenem Indianer, der, 
als er aus einer geöffneten Bierflasche den Schaum herausquellen sah, 
darüber in Lachen ausbrach und sagte: „Ich wundere mich nicht, daß 
er herauskommt, aber ich möchte wissen, wie er hineingekommen ist!" 
Alle Werke, die der Entstehung und Thätigkeit des Jntellects vor 
ausgehen und sie bedingen, sind Werke des blinden erkenntnißlosen 
Willens. Der blinde Wille zum Leben fabricirt nicht, sondern orga- 
nisi rt; er schafft seine Organe zu bestimmten Zwecken, deren Inbegriff 
die Lebensweise oder den Charakter des Thieres mit seinen Begierden 
und Neigungen ausmacht; er schafft sie blind, d. h. ohne alle Erkennt 
niß der Zwecke: diese Wirkungsart geschieht nicht auf Motive, sondern 
bloß durch Jnstincte; wir sehen sie vor uns diese zweckmäßigen Bil 
dungen, die ohne alle Vorstellung ihrer Zwecke zu Stande kommen, in 
den Werken der thierischen Kunsttriebe. 
4. Die Jnstincte und Kunsttriebe? 
Die thierischen Handlungen insgesammt sind, wie nach den obigen 
Auseinandersetzungen nunmehr feststeht, Willensacte: alle sind ge 
wollt, nicht alle beabsichtigt oder motivirt; alle sind verursacht, nicht 
alle durch Motive, d. h. durch wahrgenommene Objecte oder äußere 
Ursachen. Diejenigen thierischen Handlungen, welche nicht durch äußere 
Ursachen hervorgerufen werden, geschehen durch innere: jene sind Be 
weggründe oder Motive, diese sind Triebe oder Jnstincte; die Ursachen 
aller thierischen Handlungen sind entweder Motive oder Jnstincte. Das 
- Die Welt als Wille u. s f. I. § 28. II. Cap. XXVII.
	        
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