Der erste Abschnitt seiner Jugendgeschichte. 11
Herrn, seinen Hausstand: sie war neunzehn alt, klein, anmuthig, nicht
schön, er noch einmal so alt, hochgewachsen und häßlich mit seinem
breiten Gesicht, der aufwärtsgestülpten Nase und dem hervorspringenden
Kinn. Die junge Frau hatte den ersten schmerzlichen Liebestraum
bereits erlebt, aber sie war nicht empfindsam oder gar zur Schwermuth
geneigt, sondern weltdurstig, phantasievoll und zu heiterem, geselligem
Lebensgenüsse wie geschaffen. Gewiß sind es diese Eigenschaften gewesen,
welche die Wahl des ernsthaften Handelsherrn auf sie gelenkt hatten.
Ohne erotische Zuneigung, aber auch ohne jedes Bedenken hatte sie
die Hand des so viel älteren, charakterfesten und angesehenen Mannes
ergriffen, der ihr hohe Achtung einflößte und ein glänzenderes Loos,
als sie erwarten konnte, zu bieten hatte. An seiner Seite konnte sie
nun die Welt kennen leinen und genießen.
In dem Hause Schopenhauer herrschte ein düsterer, in dem Hause
Trosiener ein lebensfroher Geist. Einen Zug hatte Heinrich Floris
mit seinem Schwiegervater gemein: das heftige ungestüme Wollen. Es
heißt, daß der Rathsherr Trosiener bisweilen solche Ausbrüche unbe
zähmbarer Heftigkeit gehabt habe, daß alles in Schrecken vor ihm floh.
Auf dem reizenden Landsitze ihres Mannes zu Oliva, in herrlicher
Waldes- und Meeresgegend, mit der Aussicht auf die Leuchtthürme von
Hela und Danzig, umgeben von einem nach englischer Art eingerichteten
Garten, in einem künstlerisch ausgestatteten Heim lebte Johanna Schopen
hauer damals goldene Tage, an die sie nach einem halben Jahrhundert,
am Ende ihres langen schicksalsreichen Lebens noch mit Entzücken
zurückdenkt. Die Wochentage verflossen still und einsam, am letzten
Wochenabend kam der Gatte mit befreundeten Gästen und brachte
Leben und Geselligkeit mit sich?
Wie grundverschieden ihre Gemüther geartet waren, so stimmten doch
die Gatten in einer Neigung völlig überein: in der Lust zu reisen. Es sind
für die Frau in ihrer zwanzigjährigen Ehe wohl die schönsten Jahre ge
wesen, die sie an der Hand ihres weltkundigen Führers auf großen Reisen
zugebracht hat. In den Lebenserinnerungen, die sie kurz vor ihrem
Tode aufgezeichnet, ist ein Capitel mit den Worten Goethes überschrieben:
Ich sah die Welt mit liebevollen Blicken,
Und Welt und ich, wir schwelgten im Entzücken;
* Johanna Schopenhauer: Jugendleben und Wanderbilder. (Braunschweig.
Westermann 1839.) Thl. I. Cap. 27.