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Der Wille in der Natur.
und Grundlosigkeit aller Kräfte überhaupt? Doch haben wir die Lehre
noch nicht zu beurtheilen, sondern erst darzustellen, wie sie aus dem
Geiste des Philosophen hervorging.
Der empfundene Mangel haftete nicht bloß an einer Stelle, sondern
das ganze zweite Buch war der Ergänzungen, Verdeutlichungen und
sachlichen Ausführungen weit bedürftiger als die drei anderen. Daher
kam es, daß Schopenhauer eine neue Auflage des Hauptwerkes so
dringend herbeiwünschte; daß er zu dem zweiten Buch eine Reihe
eingehender „Ergänzungen" schrieb, die sich am Ende dergestalt vermehrt
hatten, daß sie an Umfang mehr als das Doppelte des ganzen zweiten
Buchs betrugen, sie waren auch verhältnißmäßig die umfänglichsten
aller Ergänzungen; endlich war die Folge, daß seine erste Schrift seit
dem Hauptwerke, die nach einer siebzehnjährigen Pause erschien, „Ueber
den Willen in der Natur" handelte?
Das Büchlein sollte in der kürzesten und deutlichsten Darlegung
seine Metaphysik „gleichsam in nuce" enthalten, sie betrug von dem
Umfange des zweiten Buchs und aller dazu gehörigen Ergänzungen nur
etwa die Hälfte; zugleich sollte dasselbe zeigen, daß, wenn auch die
Werke Schopenhauers unbekannt geblieben, doch der Inhalt seiner
Grundlehren von vielen Seiten bestätigt werde: durch die empirische
Naturwissenschaft, die Sprache, die bisher unerklärten, aber sicheren That
sachen des animalischen Magnetismus, endlich durch religiöse Lebens
und Weltanschauungen, zu denen sich der größte Theil der Menschheit
bekenne. Demgemäß theilte sich das Werk in die sieben Rubriken:
„Physiologie nnd Pathologie, Vergleichende Anatomie, Pflanzen
physiologie, Physische Astronomie, Linguistik, Animalischer Magnetis-
mus und Magie, Sinologie".
II. Religion, Sprache, Magie.
1. In diesem letztgenannten Abschnitte hat Schopenhauer zum
ersten mal die Uebereinstimmung zwischen den Grundüberzeugungen
seiner Philosophie und den im chinesischen Reiche, dem größten der
Welt, verbreiteten Glaubenslehren ausgesprochen und beurkundet. Erst
nach der Herausgabe seines Hauptwerkes hatte er aus den Berichten
englischer Forscher in den Asiatic Researches, namentlich des Jndologen
H. Th. Colebrooke, und aus den zahlreichen Schriften des Isaak Jakob
1 Vgl. oben Buch I. Cap. V. S. 77 flgd.