Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Die Metaphysik der Natur. 
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* Ebendas. I. Buch II. § 19, 
Angst, Gram, Schreck, Entsetzen u. s. f., unmittelbar Veränderungen 
leiblicher Zustände und Störungen vitaler Functionen. 
Diese Erfahrungen des täglichen Lebens bezeugen in der deutlichsten 
und augenscheinlichsten Weise, daß Wille und Leib identisch sind 
und der Leib die unmittelbarste Erscheinung des Willens. Diese Iden 
tität nennt Schopenhauer „die philosophische Wahrheit katexochen" und 
darf sich mit vollem Recht das Verdienst zuschreiben, dieselbe in ihrer 
fundamentalen Bedeutung erkannt und auf das hellste erleuchtet zu haben. 
2. Die Welt als Wille. 
Das erkennende Subject ist Wille und Leib, verkörperter Wille, 
wirkliches Individuum. Unter allen seinen anschaulichen Vorstellungen 
ist eine einzige, die mehr und etwas ganz anderes ist als eine bloße 
Vorstellung: diese eine ist sein Leib, das Werk einer Kraft, die ihm 
in der intimsten Weise bekannt ist und einleuchtet, da sie sein eigenstes 
innerstes Wesen ausmacht. Sein Leib ist die Erscheinung seines Willens. 
Die Realität des erkennenden Subjects ist diesem selbst völlig gewiß. 
Nun entsteht die Frage, ob die anderen Objecte auch Willenserscheinungen 
sind oder bloße Phantome? Dies ist die Frage nach der Realität 
der Außenwelt. 
Der praktische Egoismus ist nach seiner Gesinnungsart sehr ge 
neigt, im Glauben an die alleinige Realität des eigenen Ichs alle 
anderen Menschen so zu behandeln, als ob sie Phantome waren. Indessen 
macht er die Erfahrung vom Gegentheil. Der theoretische Egoismus, 
wenn er ernstlich wähnt, daß alle Objecte außer dem eigenen Leibe 
Phantome sind, gehört ins Tollhaus; wenn er aber die Realität der 
Dinge bloß bestreitet und seine Ansicht skeptisch und sophistisch zu ver 
schanzen sucht, so spielt er die Rolle einer kleinen, zwar unbezwinglichen, 
aber völlig unschädlichen und bedeutungslosen Grenzfestung, die man 
liegen läßt? 
Die Analogie des eigenen Leibes und der anderen menschlichen 
Leiber ist so einleuchtend, daß sich darauf der Schluß gründet: was 
von jenem gilt, gilt auch von diesen. Kein menschlicher Leib ist bloße 
Vorstellung, jeder ist zugleich Vorstellung und Wille. Was von allen 
menschlichen Leibern gilt, muß auf Grund der Analogie beider auch 
von den thierischen gelten. Und was von allen thierisch-mensch-
	        
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