Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

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Von der Erkenntnißlehre zur Metaphysik. 
gänzlich verwirft, indem man keine andere Ordnung der Dinge als 
die physische gelten läßt, die alles in allem sei; die physikalische 
Erklärung der Erscheinungen befriedige alle Erkenntnißbedürfnisse, alles 
Metaphysische sei eitel Träumerei. Dieses Räsonnement kennzeichnet 
den Standpunkt der „absoluten Physik oder des Naturalismus", der, 
wie schon früher gezeigt worden ist, auf den Materialismus hinaus 
läuft, nämlich die Lehre, nach welcher die Materie das Ding an sich ist? 
Wir müssen wohl unterscheiden, in welchem Sinne Schopenhauer 
mit dem Materialismus einverstanden ist und dessen Erklärungsweise 
theilt, in welchem anderen dagegen er denselben völlig verwirft und 
mit der betontesten Geringschätzung behandelt. Daß der Jntellect ein 
organisches Product, die intellectuelle Thätigkeit eine Function des Ge 
hirns sei, die sich zu dem letzteren, wie die Galle zur Leber, der Urin 
zu den Nieren u. s. f. verhalte, darin denkt und redet Schopenhauer, 
wie ein Materialist, comine 11 saut. Er läßt die materialistische Er 
klärungsweise innerhalb der Physik und Physiologie gelten, aber so 
bald sie diese Grenze überschreitet und nun die Physik als die absolute 
Erkenntniß verkündet, sobald sie die Metaphysik nicht bloß zu verdrängen, 
sondern zu usurpiren und selbst deren Rolle zu spielen sucht, die Materie 
für das Ding an sich, die mechanischen, physikalischen und chemischen Ur 
sachen für die Principien des Lebens und der Welt erklärt, ist sie in 
den Augen Schopenhauers völliger Unsinn. Von dieser Art des dog 
matischen, metaphysischen und landläufigen Materialismus kann er nicht 
verächtlich genug reden und nennt ihn am liebsten eine „rechte Barbier 
gesellen- und Apothekerlehrlingsphilosophie". ^ 
Die Materie für das Ding an sich ansehen heißt voraussetzen, daß 
ein Object ohne Subject, ein vorgestelltes Wesen ohne ein vorstellendes 
existiren und an sich vorhanden sein könne. Eben darin besteht nach 
Schopenhauer „die enorme petitio principii und Grundabsurdität des 
Materialismus". Die Materie, die ja die Substanz der Sinnen- und 
Körperwelt ausmacht, soll ein Ding an sich sein! Die Sinnenwelt 
soll ohne Sinnlichkeit, ohne ein Subject mit Sinnen und sinnlicher 
Wahrnehmung bestehen! Das Subject soll sich aus der Welt, die es 
vorstellt, herausziehen und nun die Materie als Ding an sich zurück 
lassen, gleich dem Freiherrn von Münchhausen, der sich am eigenen 
Zopf aus dem Strome herauszieht, in dem er schwimmt ! 3 
> Ebendas. Buch II. Cap. IV. S. 193ff. — 2 Die Welt u. s. f. II. Cap. XVII. 
S. 190-196. - 2 S. oben Buch II. Cap. IV. S. 205-207.
	        
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