Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

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Die Sinne 
Der Verschiedenheit der äußeren Eindrücke gemäß spaltet sich der 
äußere Sinn in die sünf Sinnesarten. Den vier Aggregatzustünden 
der wägbaren Materie, nämlich dem festen (Erde), dem flüssigen (Wasser), 
dem dnnstförmigen (Dampf) und permanent elastischen (Luft) entsprechen 
die vier Sinne, nämlich der Tastsinn, der Geschmack, der Geruch und 
das Gehör; dem unwägbaren Stoffe des Aethers (Licht und Wärme) 
das Gesicht und das Gemeingefühl. 
Obgleich nun alle unsere Sinuesempfindungen durchaus subjectiv 
sind, so sind doch die Data, die sie uns liefern, mehr oder weniger 
geeignet, der Anschauung und Erkenntniß zu dienen; sie sind es um 
so weniger, je mehr sie den bloßen Lebensinteressen (dem Willen zum 
Leben) dienen: daher sind Geschmack, Geruch und Gemeingefühl die 
niederen, Getast, Gehör und Gesicht die höheren Sinne. 
Was den Willen unmittelbar afficirt oder erregt, wirkt angenehm 
oder unangenehm und wird daher als Lust oder Unlust empfunden: 
dies gilt von den Empfindungen des Geschmacks, des Geruchs und des 
Gemeingefühls (Temperaturgefühls). Dagegen ist der Tastsinn in 
seiner Verbindung mit dem Gemeingefühl und der Muskelkraft ein 
sehr gründlicher, vielseitiger, zuverlässiger, weil von Täuschungen am 
wenigsten heimgesuchter Sinn, durch den wir über Form und Gestalt-, 
Härte und Glätte, Trockenheit und Nässe, Textur und Festigkeit, Schwere 
und Temperatur belehrt werden. 
2. Die theoretischen Sinne. 
Gesicht und Gehör sind allen andern Sinnen aber dadurch über 
legen,, daß sie im Dienste der Betrachtung und Erkenntniß stehen: das 
Auge vermöge der Licht-, Farben- und Raumempfindung ist der an 
schauende, das Ohr vermöge der Schall-, Laut- und Tonempfindung 
der vernehmende Sinn. Weil die Anschauung die Thätigkeit des Ver 
standes, Worte und Sprache dagegen als Bezeichnung der Begriffe 
das Werk der Vernunft sind: deshalb nennt Schopenhauer das Auge 
den Sinn des Verstandes, das Ohr den der Vernunft, und den Ge 
ruch, da die Erregungen desselben unmittelbar die Erinnerung an 
Orte wecken, wo wir ähnliche Eindrücke erlebt haben, den Sinn des 
Gedächtnisses. 
Als theoretische, der anschauenden und vernehmenden Betrachtung 
dienende Sinnesorgane sind Auge und Ohr die beiden ästhetischen 
Sinne: das Ohr der musikalische, das Auge der plastische (dieses Wort
	        
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