Volltext: Schopenhauers Leben, Werke und Lehre [9. Band, zweite neu bearbeitete und vermehrte Auflage] (9,2 / 1898)

Die Sinne und die sinnliche Anschauung. 
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Zweites Capitel. 
Die Kinne und die sinnliche Anschauung. 
I. Empfindung und Wahrnehmung. 
Eines der hartnäckigsten und irrigsten Vorurtheile, worin das ge 
wöhnliche Bewußtsein und die Philosophie, ausgenommen die kantische, 
übereinstimmen, ist die Nichtunterscheidung zwischen Empfindung und 
Wahrnehmung oder der Glaube, daß unsere Sinneseindrücke und unsere 
Wahrnehmung sinnlicher Objecte eine 'und dieselbe Sache sind, daß 
die anschauliche Welt zweimal vorhanden sei: einmal außer unserem 
Bewußtsein, dann in unseren Sinnesorganen, welche sie abspiegeln; ein 
mal als Original außer uns, dann als dessen Abbild in uns. Man 
muß, wie Schopenhauer sagt, von allen Göttern verlassen sein, 
um einen solchen Glauben festhalten und sich dabei beruhigen zu 
können/ 
Die Sinneseindrücke sind Affectionen unseres sensiblen Leibes, ins 
besondere derjenigen Stellen, welche durch den Zusammenfluß, die Aus 
breitung und die dünne Bedeckung der Nervenenden leicht von außen 
erregbar sind und besonderen Einflüssen, wie Licht, Schall, Duft u. a., 
zugänglich. Diese Erregungen sind insgesammt locale Vorgänge inner 
halb des Organismus, sie sind durchaus subjectiv und enthalten nichts 
von Dingen außer uns oder von Beschaffenheiten, die denselben ähnlich 
wären. 
Doch sind die Sinneseindrücke der alleinige Stoss, aus dem unsere 
Sinnenwelt besteht und sich aufbaut. Dieser Aufbau geschieht durch 
den Verstand, der die Function des Centralorgans ausmacht, und dessen 
uns bekannte Formen Zeit, Raum und Causalität sind. In der Zeit 
sind alle Theile unterschieden und verknüpft durch die Folge, im Raum 
durch die Lage: dieser Nexus ist auch Zusammenhang oder Causalität; 
daher läßt sich in Kürze sagen, daß die Causalität die einzige und 
alleinige Form des Verstandes ausmacht. 
1 Zu vgl. Vierfache Wurzel. Cap. IV. § 21. Vom Sehn und den Farben. 
Cap. I. §1,
	        
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