Volltext: Die Schweiz im Weltkrieg [61]

Bürgerkämpfen ging die Eidgenossenschaft zwar nicht von ihrem 
Zinsendienst befreit und ihrem Boden wiedergeschenkt hervor, 
jedoch politisch erneuert, in ihrem Bewußtsein gestärkt, um frei¬ 
sinnige Regierungsgrundsätze bereichert und national einheitlicher, 
als sie jemals gewesen war. Die schöne und großartige Zeit 
zittert noch heute mit ihren Lichtern und Donnern in den eid¬ 
genössischen Seelen nach, und vielleicht wird man diese Innigkeit 
und Leidenschaft des eidgenössischen Gedankens nicht zum zweiten¬ 
mal erfahren. Wenn aber der Gott der Berge noch lebt und 
sein Volk noch lieb hat, dann beschert er ihm bald eine Auf¬ 
erstehung und Renaissance jenes heftigen und guten Geistes. 
Neutrale Gegenwart 
Der Krieg traf also die schweizerische Eidgenossenschaft als 
ein nach europäischen Prinzipien geordnetes Staatswesen von 
besonderem Gehalt und mit besonderen Problemen. Jnnerpolitisch 
erscheinen die abstrakten französischen Ideale insofern mit nationalem 
Blut erfüllt und schweizerisch umgebildet, als man sie geradehin 
völkisch praktiziert. Die Eigentums- und Persönlichkeitsrechte 
sind in einem guten, gemeingültigen Zivilgesetzbuch niedergelegt; 
ein humanes nationales Strafgesetzbuch ist auf dem Weg. Von 
der vielberufenen Kantonswirtschaft haben die verschiedenen Ver- 
faffungsrevisionen wenig übriggelassen, und dem wenigen wird 
mit Eifer weiter nachgestellt, unter anderm dem Schulwesen, wo 
einem Gesamtstaat freilich auch ein ernsthafter Einfluß zusteht. 
Die Post, die Bahnen, das Münzwesen, der Zoll, die National¬ 
bank, das Wehrwesen sind in der Schweiz ebenso allgemeinstaat¬ 
lich wie in jedem andern Land. Die Volksfreiheiten drücken sich 
aus im allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahl- und 
Stimmrecht, im Recht der Verfassungsinitiative und des Referen¬ 
dums — dreißigtausend Bürger können die allgemeine Abstimmung 
über ein Gesetz verlangen und fünfzigtausend eine Verfaffungs- 
revision —, und in einer Anzahl Kantonalfreiheiten, wie der 
Trennung von Kirche und Staat in Basel und Genf, und be¬ 
sondern Rechten, zum Beispiel dem Proportionalwahlsystem, das 
wie alle Volksrechte eine Freiheit oder ein Anrecht scheint, je 
nachdem es einer Partei paßt oder nicht; es kann vorkommen, 
daß dieselbe Partei ein solches Recht im Bund bekämpft und in 
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