Volltext: Der Weltkrieg der Dokumente

Deutschlands Vereinsamung’. 1902—1914 
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Bedenklicher noch war, daß Sir Edward Qrey am 24. Juli dem 
Botschafter Fürsten Lichnowsky erklärte, England werde sich zwar 
in einen lokalisierten Streit zwischen Österreich und Serbien nicht 
einmischen, sei aber bei der Schroffheit des an Serbien gerichteten 
Ultimatums, bei der Kürze der gestellten Frist und den sehr weit 
gehenden Forderungen außerstande, auf Rußland einzuwirken; falls 
Österreich-Ungarn nach Serbien einmarschiere, sei die Gefahr eines 
europäischen Krieges — zwischen den vier Großmächten Öster 
reich-Ungarn, Rußland, Frankreich und Deutschland — in nächste 
Nähe gerückt. Er befürwortete daher die Verlängerung der Frist 
von 48 Stunden und eine Vermittlung der vier weniger beteiligten 
Großmächte 1 . In Belgrad gab Grey den Rat, entgegenkommend 
zu antworten und volle Genugtuung zu versprechen, im übrigen aber 
sich von Serbiens Interessen leiten zu lassen 1 2 . 
Den bestimmendsten Einfluß für die weitere Entwicklung der 
Dinge mußte Rußlands Haltung ausüben. Schon am 24. Juli ver 
sammelte Sasonow die Botschafter Englands und Frankreichs auf 
der französischen Botschaft und suchte eine volle Übereinstimmung 
der drei Mächte herzustellen. Dringend wirkten Sasonow und der 
französische Botschafter Paleologue auf den Vertreter Großbritan 
niens, Sir G. Buchanan, ein, um ihn zur Herbeiführung einer eng 
lischen Erklärung des Mitgehens im Kriegsfälle zu veranlassen 3 . 
Am gleichen Tage ließ der Generalstabschef, General Janusch- 
kewitsch, den im Generalstabe beschäftigten General Sergei Dobro- 
rolski zu sich kommen und eröffnete ihm, daß die Lage sehr ernst 
sei, und daß er sofort die Teilmobilmachung nur gegen Österreich- 
Ungarn vorbereiten möge. Eine solche Teilmobilmachung hielt Do- 
brorolski für eine Unmöglichkeit 4 . In einem Ministerrate am Nach 
mittage betonte der Kriegsminister Suchomlinow die Kriegsbereit 
schaft Rußlands. Man beschloß, in Wien eine Verlängerung der Ser 
bien gestellten Frist zu fordern und einen Angriff Österreich-Ungams 
gegen Serbien nicht zuzulassen. In dem gleichen Sinne entschied ein 
Ministerrat unter Vorsitz des Zaren am 25. Juli. Als General Ja- 
nuschkewitsch aus Krasnoje Selo zurückkehrte, konnte er den Be 
schluß mitteilen, daß das österreichische Ultimatum in einer Rußlands 
würdigen Weise beantwortet werden würde 5 6 . „Der Krieg war be- 
1 Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch Nr. 157; englisches Blaubucb 
Nr. 9, 11; österreichisches Rotbuch 1919, II, Nr. 15; französisches Oelbbuch 
Nr. 37. 
2 Englisches Blaubuch Nr. 22. 
* Englisches Blaubuch Nr. 6. 
* General Sergei Dobrorolski: „Die Mobilmachung der russischen Armee 
1914“. Beiträge zur Schuldfrage, herausgegeben von der Zentralstelle für Erfor 
schung der Kriegsursachen, Heft 1. Berlin, Deutsche Verlagsgesellschaft für Poli 
tik und Geschichte, 1922. 
6 Dobrorolski, wie o. S. 21.
	        
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