Von Sarajevo zum Weltkriege
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Zaren empfangen wurde, und am 21. Juli gegenüber dem Botschafter
v. Szögyenyi 1 .
An diesem 21. Juli empfing Poincare im Winterpalaste in Peters
burg das diplomatische Korps und sprach den österreichischen Bot
schafter Grafen Szäpäry auf den serbischen Konflikt an, wobei er
darauf hinwies, Serbien habe glühende Freunde im russischen Volke,
und Rußland besitze einen Verbündeten, nämlich Frankreich. Was
für Verwicklungen könnten daraus entstehen! Die diplomatischen
Vertreter der kleineren Staaten begrüßte Poincare nur mit einigen
gemeinsamen Worten, sprach aber den serbischen Gesandten Spalai-
kowitsch allein an, um ihn „mit zwei oder drei Phrasen der Sympa
thie zu stärken“. Graf Szäpäry berichtete beunruhigt nach Wien.
Damals schon war es in hohem Grade wahrscheinlich, daß Rußland,
gestützt auf Frankreich, der Auseinandersetzung zwischen Öster
reich-Ungarn und Serbien nicht untätig zusehen würde.
Das Ultimatum vom 23. Juli 1914
Erst nachdem Poincare die Rückreise von Rußland angetreten
hatte, erfolgte die Überreichung des österreichischen Ultimatums in
Belgrad und zwar am 23. Juli 6 Uhr nachmittags.
Die österreichische „Begehrnote“ an Serbien übertraf nach
Inhalt und Schärfe alle Erwartungen. Man hatte, wie österreichi-
scherseits behauptet wird, das im Jahre 1859 an Sardinien gerich
tete Ultimatum zum Muster genommen und Bedingungen aufge-
stellt, deren Annahme äußerst unwahrscheinlich war. In Belgrad
wurden sie denn auch sofort als unannehmbar bezeichnet, und in
Berlin lehnte man jede Verantwortung für ihren Inhalt ab. Ganz
besonders in Petersburg, aber auch in London, Paris und in Rom
fand die Note scharfe Verurteilung, und die Länder des Dreiverban
des bemühten sich sofort um eine Verlängerung der Serbien gestell
ten Frist von 48 Stunden, um inzwischen eine Vermittlung zustande
bringen zu können. Sir Edward Grey trat von vornherein für eine
Vermittlung der vier an dem österreichisch-serbischen Konflikte
weniger beteiligten Großmächte England, Frankreich, Deutschland
und Italien ein. In Wien gab man nach Petersburg hin die Erklä
rung, es sei kein Gebietserwerb in Serbien beabsichtigt, aber die
großserbische Bewegung müsse nachhaltig unterdrückt werden. Für
den Zusammenhalt des Dreibundes war es äußerst bedenklich, daß
die Leiter der italienischen Politik in Rom dem deutschen Bot
schafter v. Flotow schon am 24. Juli erklärten, sie mißbilligten
das Vorgehen Österreich-Ungarns und den Inhalt der Note an Ser
bien und behielten sich freie Hand vor 1 2 .
1 Österreichisches Rotbuch 1919. I, Nr. 39, 41.
2 Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch Nr. 156, 168, 244.