Volltext: Der Weltkrieg der Dokumente

Deutschlands Vereinsamung. 1902—1914 
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Fragen dem Lande das Vertrauen in seine Führung und in seine 
eigene Kraft wiederzugeben“. Nach Schoens Ansicht war der 
Wunsch nach Wiedergewinnung Elsaß-Lothringens in der französi 
schen Volksseele noch keineswegs erloschen, wenn die Nation auch 
keinen Krieg wollte 1 . Die neue deutsche Wehrvorlage verfolgte man 
mit gespannter Aufmerksamkeit. Frankreich und Deutschland be 
fleißigten sich im übrigen einer besonders entgegenkommenden 
Sprache. Kleinere Zwischenfälle an der deutschen Grenze wurden 
bald beigelegt. 
An bedeutenderen Reisen politischer Persönlichkeiten ist die 
Kaiserbegegnung in Baltischport am 4. und 5. Juli hervorzuheben, an 
der deutscherseits der Reichskanzler v. Bethmann Hollweg und 
auf russischer Seite Sasonow und der Ministerpräsident Kokowzow 
teilnahmen. Die Begegnung verlief in jeder Beziehung befriedigend 1 2 . 
Kaiser Wilhelm nahm die Überzeugung mit, daß Rußland, welche 
Wendung auch immer der italienisch-türkische Krieg nehmen möge, 
sich nicht zu einer Politik der Überraschungen und der Unruhe ver 
leiten lassen werde; man sei in Petersburg auch bereit, auf etwaige 
kriegerische Neigungen der Balkanstaaten bremsend einzuwirken. 
Der Zar hatte persönlich den Wunsch betont, daß regelmäßig, etwa 
alle anderthalb Jahre, ein Zusammentreffen der Monarchen stattfin 
den möge. 
Eine Lockerung der russisch-französischen Beziehungen ergab 
sich nicht daraus. Wenige Tage nach der Zusammenkunft von Bal 
tischport kam in Paris anläßlich der Anwesenheit des russischen Ge 
neralstabschefs für Armee und Marine, des Generals Shilinsky, und 
des Vizeadmirals Fürsten Lieven das Protokoll der Generalstabs 
chefs von Frankreich und Rußland vom 14. Juli und die Marinekon 
vention vom 16. Juli zustande. In Paris war man über die Bespre 
chungen von Baltischport genau unterrichtet worden, was dort be 
ruhigend gewirkt hat. Trotzdem erblickte Bethmann Hollweg in der 
deutsch-russischen Annäherung von Baltischport einen Fortschritt 
gegen die bisherigen Zustände 3 . Nach der Ansicht des Grafen Pour- 
tales durfte man das russische Entgegenkommen nicht überschätzen, 
da die gegenwärtigen Leiter der russischen Politik für Rußland offen 
bar eine längere Zeit der Ruhe für nötig hielten, um die Wunden des 
japanischen Krieges und der Revolution heilen zu lassen 4 . Man hege 
in Rußland immer noch ein tiefes Mißtrauen gegen die Politik der 
Donaumonarchie. 
Im August 1912 stand der Besuch Poincares in Petersburg im 
Vordergründe des politischen Interesses. Von französischer Seite 
1 Gr. Pol. Nr. 11520. 
2 Gr. Pol. Nr. 11534—11542. 
3 Gr. Pol. Nr. 11546. 
4 Gr. Pol. Nr. 11 548.
	        
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