Volltext: Der Weltkrieg der Dokumente

Deutschlands Vereinsamung. 1902—1914 
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Telegramm Bülows an Radowitz vom 7. Februar ist immer noch 
davon die Rede, daß Deutschland eine Isolierung jetzt nicht mehr 
zu befürchten habe 1 . Zwei Tage später mußte Radowitz diese Auf 
fassung gründlich enttäuschen 1 2 . Nur der österreichische Vertreter 
Graf Welsersheimb stimmte bedingungslos für Deutschland. 
Bei dem hartnäckigen Kampfe in Algeciras, der nun einsetzte, 
hat man bei Durchsicht der Akten das Gefühl, daß sie deutscherseits 
einen solchen diplomatischen Aufwand an Zeit und Kraft wirklich 
nicht verdienten. Der für Deutschland aus seiner Marokkopolitik zu 
erhoffende Gewinn schien z. B. den englischen Staatsmännern so 
unklar, daß sie annahmen, Deutschland verfolge weitere Ziele, 
vielleicht die Festsetzung an der atlantischen Küste Marokkos und 
den Gewinn einer dortigen Kohlenstation oder eines Hafens. Der 
neue Kriegs- und Marineminister Haldane betonte, die englische 
Regierung stehe unbedingt auf dem französischen Standpunkte und 
finde die Ansprüche Frankreichs maßvoll; Deutschland möge doch 
endlich mit seinen Forderungen hervortreten 3 . In Petersburg end 
lich, wo man durch die Ereignisse von Björkoe in den Wunsch 
des deutschen Kaisers eingeweiht war, Frankreich dem deutsch 
russischen Geheimbündnisse zuzugesellen, verstand man nicht, was 
Deutschland eigentlich in Algeciras beabsichtigte 4 . Da Rußland 
nicht verstehen wollte, warum Deutschland in der marokkanischen 
Polizeifrage so hartnäckig für ein internationales Recht eintrat, 
Amerika nervös zu werden anfing, und auch von österreichischer 
Seite auf die Unannehmlichkeiten eines Alleinstehens der beiden 
verbündeten Großmächte in Algeciras hingewiesen wurde, schien 
gegen Ende Februar 1906 eine Zeitlang ein auch nur leidlicher Aus 
gang der Konferenz ungewiß. Dem Grafen Welsersheimb gelang es, 
durch einen Vermittlungsvorschlag in der Polizeifrage einen Aus 
weg aus der Sackgasse zu eröffnen. Der Reichskanzler, dem es 
offensichtlich jetzt darum zu tun war, sich von der Holsteinschen 
Politik der Unnachgiebigkeit in der Marokkofrage freizumachen, 
sprach jetzt von der Ermöglichung einer ehrenvollen Verständigung 5 . 
Auch bei den Erörterungen über eine marokkanische Staatsbank 
trat Deutschlands Vereinsamung zutage. Eine feste französisch 
englisch-russisch-spanische Gruppe trat ihm entgegen, der italie 
nische und amerikanische Unterhändler vermieden eine klare Stel 
lungnahme, und nur Österreich-Ungarn stand fest zu Deutschland. 
Bülow, der die Leitung der Marokko-Aktion in Berlin, offenbar aus 
Mißtrauen gegen Holstein, von Ende Februar 1906 ab in der Haupt 
1 Gr. Pal. Nr. 6987. 
2 Gr. Pal. Nr. 6990. 
3 Gr. Pal. Nr. 7022. 
4 Gr. Pol. Nr. 7026, 7027. 
5 Gr. Pol. Nr. 7046.
	        
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