Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1938 (1938)

müssen, wo der Adler Not und 
Knechtschaft hingetragen hat." 
„Mein Gott — wie danke ich dir", 
brach es jubelnd von Varros Lip¬ 
pen, aber Aurelianus sprach zu 
Zenobia: „Nur dann, wenn du da¬ 
für das Geschenk meiner Gast¬ 
freundschaft annimmst, will ich dei¬ 
nen Wunsch erfüllen." 
Sie neigte fast demütig das 
Haupt: „So danke ich dir", sprach 
sie und wußte, daß nun in ihrem 
Herzen die Taube den Adler besiegt 
hatte.- 
Ohne Gefolge, ohne den Prunk 
seines Kaisertums suchte Aure¬ 
lianus die Königin des Ostens in 
dem Palast auf, den er ihr zu eigen 
gegeben. 
„Zenobia, wfy mußte kommen", 
sprach er unbeherrscht. 
„Du muhtest? - 
Da brach es ihm von den Lippen 
wie in Not und Qual: „Ich liebe 
dich — liebe dich, seit ich dich ge¬ 
sehen!" 
„Das wirst du vergessen, Kaiser 
Aurelianus!" 
„Kannst du mich nicht lieben, Ze¬ 
nobia?" 
„Ich liebte meinen Gatten, er 
starb. Ich liebte mein Reich, es 
ward zerstört. Nun liebe ich nur 
mehr Gott, der das Leben ist und 
die Ewigkeit." 
„Und wenn ich dir den Kaiser¬ 
thron biete?" 
„Ich habe das Herrscheröiadem 
getragen, es ward mir entrissen. 
Mein Gott trug eine Dornenkrone 
und sein Thron war das Kreuz. 
Ich will keinen Fürstenprunk 
mehr." 
Da ging er grußlos von ihr und 
sann den Regungen seines Hasses 
nach, der das Christentum vernich¬ 
ten sollte. Und ahnte nicht, daß in 
den Schwertern seiner Soldaten 
schon sein eigener Tod auf ihn 
wartete. 
In goldener Herrlichkeit lag das 
ewige Rom und wußte nicht, daß 
der Adler seiner Macht doch nur 
der Taube den Weg bereitete. 
Dann erst, wenn die Taube seg¬ 
nend über Rom schweben wird, 
wird die Stadt die Fülle ihrer Ho¬ 
heit erreichen und die Pforten der 
Hölle werden sie nicht überwälti-
	        
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