Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1936 (1936)

Da stand ein Wundarzt, namens Guyon, ein Mann in der Blüte 
seines Lebens, doch berühmt schon wegen seiner Kenntnisse und Er¬ 
fahrung, plötzlich auf und sagte fest entschlossen: „Sei dem so,' ich 
weihe mich für die Rettung des Vaterlandes! Vor dieser zahlreichen 
Versammlung schwöre ich im Namen der Menschheit und der Re¬ 
ligion, daß ich morgen mit Tagesanbruch einen an der Pest Verstor¬ 
benen sezieren, und was ich finde, während der Operation nieder¬ 
schreiben will." — Augenblicklich verließ er die Versammlung. — Sie 
bewundert u. beklagt ihn, zweifelt aber noch daran, ob er in seinem 
Vorhaben beharren werde. Der unerschrockene und fromme Guyon 
handelt, von all der Kraft begeistert, welche Religion einzuflößen 
imstande ist, wie er gesagt. Er war unverheiratet, reich und setzte 
daher sogleich seinen letzten Willen auf, in welchem sich Recht und 
Frömmigkeit aussprachen und empfing um Mitternacht die heiligen 
Sakramente. 
In seinem eigenen Hause war ein Mann vor weniger als 24 
Stunden an der Pest gestorben. Sobald der Tag anbrach, eilte 
Guyon in das Gemach, wo die Leiche lag, mit Schreibzeug, Papier 
und einem Kruzifixe: voll Enthusiasmus, aber auch nie entschlos¬ 
sener und gefaßter, als eben jetzt, kniet er an dem Leichnam nieder 
und schrieb: Modernde Ueberbleibsel eines menschlichen Wesens, 
nicht nur ohne Schauder, sondern sogar mit Freude und Dankge¬ 
fühl kann ich auf euch blicken. Ihr werdet mir die Pforten einer 
ruhmvollen Ewigkeit öffnen. Indem ihr mir die verborgenen Ur¬ 
sachen der schrecklichen Krankheit, welche mein Vaterland verwüstet, 
entdeckt, werdet ihr mir es möglich machen, irgend ein Heilmittel 
zu ergründen und so mein Opfer meinen Nebenmenschen nützlich 
werden lassen. O Gott! Du wirst die Handlung segnen, zu der du 
mich selbst begeisterst. Und so begann er nun die schreckliche Opera¬ 
tion und schrieb während derselben seine chirurgischen Bemerkungen 
treu und ruhig nieder. Tann verließ er das Leichengemach, tauchte, 
was er geschrieben, in ein Gefäß mit Weinessig, begab sich selbst ins 
Pestkrankenhaus und starb dort nach 12 Stunden einen Tod, tau¬ 
sendmal glorreicher als der eines Helden, der, um sein Vaterland 
zu retten, sich in die Reihen -er Feinde stürzt,' denn dieser schreitet 
noch mit Hoffnung vor, und ihm folgt, ihn bewundernd und unter¬ 
stützend, ein ganzes Heer — aber dieser! (Aus der Frau v. Genlis 
Erzählung: Die Pest in Marseille.) (Aus „Vaterländischer Pilger". 
Jahrgang 1826.) 
Kleine Geschichte 
Die Wiener Bäckermeister des'Vormärz beschlossen, die Semmeln 
kleiner zu backen. Da erschien Nestroy auf öer Bühne mit einem Frack, 
dessen Knopfe durch Miniatursemmeln ersetzt waren. Die Bäckerinnung 
klagte und Nestroy mußte 48 Stunden brummen. Da ließ er sich auf öer 
Bühne von seinem Partner fragen, ob er im Kerker nicht gehungert habe. 
,>O>h nein", replizierte Nestroy, „die Tochter des Gefangenwärters war in 
mich verliebt und schob mir Semmeln durch das Schlüsselloch zu." Die In¬ 
nung gab den weiteren Kampf auf. 
so
	        
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