Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1931 (1931)

lieben, wie dich selbst. Wer hat ihm bas gesagt und ins Herz ge¬ 
pflanzt? Sein braver, christlicher Vater. Darf man über solche 
Leute spotten? Hut ab vor Vater Scheichl!" 
Durch diese Worte gründlich heimgeführt und beschämt, ver¬ 
ließ der Mann, der so zu spotten gewagt hatte, ein junger Arbeiter, 
ohne Weib und Kind, die Gruppe. 
Inzwischen war das rote Licht, das/Felix in der Hand trug, 
längst verschwunden. Der Regen, der eine Weile ausgesetzt hatte, 
trat wieder in seine Rechte. 
Nur den einen Gedanken in der Seele: Ich muß sie retten! 
stürmte der Knabe vorwärts. Eine halbe Stunde, hatte man gesagt, 
dann wird der Zug die Brücke erreichen. Zuerst aber muß er dort 
sein und winken, sonst ist das Unglück geschehen. 
Der Weg war überaus beschwerlich, denn der Regen hatte den 
Pfad zwischen den Schienen unterwaschen. Oft sank der Fuß zwischen 
den Steinen ein. Dazu der naßkalte Wind, die Finsternis, der im¬ 
mer stärker werdende Regen. Doch Felix fragte nach nichts, er kannte 
nur eines: Ich muß sie retten! 
Fm Geiste sieht er den Zug an die Brücke herankommen, die 
der Last nicht mehr gewachsen ist. Er hört, wie die Räder sich vor¬ 
wärts schieben, ahnungslos, dann ein Krachen und Bersten, ein 
Schreien und Weinen, Verwundete und Leichen. Menschen, die fröh¬ 
lich fortgefahren von zu Hause und nun als Krüppel wiederkehren. 
Andere, die die Heimat nimmer sehen. Väter, Mütter, um die die 
verwaisten Kinder klagen. Er denkt an seinen Vater. So sieht er 
Bild um Bild. Seine Füße laufen und stürmen, spüren den Schmerz 
nicht, die Müdigkeit. Nur eines hört er immer wieder aus seiner 
Seele: Ich muß sie retten! 
Er betet. Er weiß ja, ohne Gottes Schutz und Segen kann er 
das Ziel nicht erreichen. Und Gottes heiliger Engel eilt neben ihm. 
Die Minuten fliegen dahin, viel zuschnell für den Retter. Der 
Weg wird immer schlechter. Der Fuß bleibt immer wieder zwischen 
den Steinen stecken und muß sich mühsam freimachen. Das alles ist 
Verlust kostbarer Zeit. Starr geht der Blick vorwärts, ob sich die 
Brücke noch immer nicht zeigt, über die er muß. Der Bube ist die 
Strecke noch niemals neben den Schienen gegangen. Oft erschrickt 
er, er meint, das Kommen des Zuges aus der Ferne zu hören. Wenn 
sich jetzt die roten Lichter der Lokomotive zeigen würden, wäre es zu 
spät. Inniger, heißer betet er zum heiligen Engel: Trag mich vor¬ 
wärts, es gilt, sie zu retten! 
Eine halbe Stunde, welche lange, lange Zeit für den Kranken, 
der auf dem Schmerzenslager ringt! Eine halbe Stunde Zeit, welche 
kurze, winzig kurze Zeit für ihn, dem jede Minute ein unbezahl¬ 
barer Schatz ist! 
Das Gewand -es Jungen trieft vor Nässe, seine Hände sind 
eiskalt, seine Haare kleben vor Schweiß unter der Mütze, er spürt 
es nicht: Ich muß sie retten, Himmel hilf! Die Kräfte wollen vom 
ununterbrochenen Dahineilen nachlassen, sie dürfen nicht.
	        
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