Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1931 (1931)

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Zwei Jahre waren vergangen, seit das Unglück des Wechsel- 
wärters geschehen. Felix war zwölfjährig geworden, etwas blaß im 
Gesichte, dem Wüchse nach aufgeschossen, zu allem flink und hurtig. 
Wie der zum Krämer lief! „Bist schon wieder da", sagte der Vater 
verwundert, stand der Junge nach ein paar Minuten wieder vor ihm. 
Draußen regnete es nun schon den dritten Tag in Strömen. 
Der Himmel schien seine Schleusen nicht mehr schließen zu wollen. 
Wäre die Ortschaft nicht etwas auf der Anhöhe gelegen, das Wasser 
hätte auch dort seinen Einzug gehalten. So hatte man wenigstens 
bis auf weiteres nichts zu fürchten. 
Als Felix zum Bahnhofgebäude kam, sah er das Personal um 
den Vorstand geschart und hörte: „Ein furchtbares Unglück kann es 
werden. Der Streckenwärter 102 meldet, daß die Brücke beschädigt 
ist und für längere Zeit unbenützbar sein wird. Da steht der wackere 
Mann. Was er lausen konnte, lief er, weil er hoffte, wir können 
den Zug telephonisch noch verständigen. Wir sind jedoch so hilflos 
wie er. Seit einer halben Stunde ist die Verbindung unterbrochen." 
„Der Zug kommt von St. Pölten?" 
„Ja. Der Schnellzug. Kaum mehr eine halbe Stunde." 
„Gibt es keine Rettung mehr?" 
„Nur eine", erklärte der Vorstand, „da wir die letzte Station 
vor der Brücke nicht mehr durch Telephon erreichen können, kann 
nur ein Warnungssignal jenseits der Brücke die entscheidende Ret¬ 
tung, bringen. Sehen sie es, werden sie halten und gerettet sein. 
Doch wer wagt es? Er muß alles aufs Spiel setzen, denn die 
Brücke . . ." 
„Hat argen Schaden genommen, und wer weiß, ob der Retter.." 
„Noch hinüber kommt. Wer es wagt, setzt Las Leben aufs Spiel. 
Und Füße muß er haben wie ein Wiefel..." 
„Gerne täte ich es", meldet sich ein Arbeiter, „doch ein Weib und 
fünf Kinder habe ich daheim." 
„Wäre. ich nicht die ganze Nacht im Dienst gestanden! So werde 
ich sie nicht rechtzeitig erreichen und es hängt von Minuten, von Se¬ 
kunden ab", erklärte ein Zweiter. 
„Ich kann niemanden dazu verpflichten", erklärte der Vorstand. 
„Freiwillig muß es geschehen." 
Da trat Felix vor ihn hin und sagte: „Ich will es wagen, wenn 
Ihr für meinen Vater sorgt. Gott wird mir helfen." 
„Brav, Bub, du bist der Rechte! Hier ist das Signal, lauf soviel 
du kannst." 
„Grüßt meinen Vater", war das letzte Wort, dann flog der 
Junge die Schienen entlang dahin. Von der Station aus sah man 
ihm nach. 
„Ein Goldbub, der Felix", lobte der Vorstand. „Das wird ein¬ 
mal einer, der das Herz am rechten Fleck hat." 
„Einer wie sein Vater." 
„Wenn der wüßte, wo sein Bub jetzt ist und was er vorhat. 
Sterben täte er vor Sorge."
	        
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