Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1930 (1930)

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Die zwei Wächter neben dem Heil. Grabe sind, als sie das 
Läuten vernahmen, empor, stürzten zur Glockenstube und fanden 
niemand. Die Frau, die in der Sorge ihres! Mutterherzens, nur 
das Kind zu retten, mitten in der Nacht die Glocke gerührt, war in 
einer Ecke des Vorraumes unbemerkt geblieben und, während sie 
in der Glockenstube nach dem Täter suchten, die Treppe hinabgeeilt 
und ins Freie gekommen. 
In manchem Gehöft fragten sie, aus dem Schlummer empor- 
gefahren: „Brennt 's?" Sie liefen ins Freie, hörten kein Läuten 
mehr und beschieden sich: „Wir haben uns getäuscht." 
Als die Rothmüllerin die Kammer betrat, fand sie den Knaben 
in tiefem Schlaf, eine leise Röte im Antlitz. 
Am Morgen erklärte der Arzt: „Er ist gerettet." 
Nur ihm verriet die Frau, was sie getan in der Nacht. Der 
Mann drückte ihr die Hand und sagte: „Mutterliebe!" 
III. 
Acht Fahre später. 
Durch den Scheitel der Rothmüllerin hat manche Sorge einen 
silbernen Faden gezogen. Zweimal lag die Gertrud schwer krank. 
Nur mit aller Mühe konnte sie gerettet werden. Noch jetzt ist sie ein 
schwächliches Kind, das der Mutter nur wenig helfen kann, so gern 
sie es möchte. So bedeutet jeder Tag für die Frau einen Kampf um 
das tägliche Brot. Mit Näharbeit bringt sie sich schwer, aber ehrlich 
weiter. 
Nur eine Freude leuchtet wie ein Heller Stern durch alle 
Stunden: Der Vinzenz, der Vinzenz! Der studiert draußen in der 
Bischofsstadt am Knabenseminar, wird, wenn er im Füll das Stu¬ 
dium der Mittelschule vollendet hat, in das Priesterhaus kommen 
und dann, wieder drei Fahre später . . . Ihr werden die Augen 
feucht, denkt sie jener Stunde, die da kommen soll ... Da wird er 
am Altare stehen mt&' das erste heilige Opfer feiern. Kein irdisch- 
gesinnter Gedanke webt sich in diese reine Freude, so nahe er läge, 
so wenig er unrecht wäre, so oft ihn Vinzenz selbst ausgesprochen: 
Bin ich einmal Pfarrer, dann sollst du und Gertrud es schön be¬ 
kommen bei mir! Nein, all' das dachte sie nicht. Nur das eine: Als 
Priester wird er stehen am Altare. 
Wie von selbst war es dazu gekommen, daß der kleine Vinzenz 
Student geworden. Nach jener Rettung ausi schwerer Krankheit 
hatte der Pater Guardian von der Wallfahrt die Rothmüllerin be¬ 
sucht, deren Dürftigkeit gesehen und gesagt: „Der Bub braucht jetzt 
gute Kost und die könnt ihr ihm nicht bieten. Wenn es euch recht 
ist, mag er für ein paar Wochen zu uns kommen, da wird er bald 
wieder beisammen sein. Nach einem Monat holt ihr ihn ab." Die 
Frau hatte freudig zugestimmt. Als sie kam, ihn heiMzubringen, 
eröffnete ihr der Geistliche: „Priester möchte er werden. Wenn ihr 
zustimmt, will ich nach Wohltätern sehen." Nach! der Hand des Pa¬ 
ters hatt die Frau gegriffen, sie zum Danke zu küssen. Fm Herbst 
gings in die Studierstadt hinaus, ein Fahr lief schneller dahin wie 
das vorhergehende und jetzt ist der Vinzenz ein hochgewachsener,
	        
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