Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1930 (1930)

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Merrgoltssäüen. 
Erzählung von Anton Pichler. 
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Seit fast einer Stunde peitscht der Sturm Regen und Schnee 
an die Fensterscheiben, daß man kaum aussieht und das Wasser ge¬ 
wahr nimmt, das wie ein Bach die Dorfstraße daherschießt. Jetzt 
rüttelt er gar an dem Gebälk des Rothmüllerhäusls wie einer, der 
sagen möchte: Platz für mich, ich bin der Stärkere! Doch die Wände 
trotzen ihm und halten stand, mag er schreien und toben wie immer. 
Das ist ihm zu viel, drum macht er sich an die Tür und reißt wie ein 
Wilder. Befiehlt und droht: Macht auf. Ich komm' doch hinein, ob 
ihr wollt oder nicht! Umsonst. Die Mutter hat den Eisenriegel vor¬ 
geschoben: so zürnt er vergebens. Da schaut er gegen den Wald 
hinauf, wo der eine weilt, aus den sie warten mit Schmerzen. Ich 
werd' euch! höhnt er und wendet sich jäh. Find' ich euch nicht, den 
andern find' ich sicher . . . Der kommt mir nicht aus . . . 
Das Jahr steht in den ersten Tagen des April. Da hat das 
Wetter schon manchen Streich gespielt. So wie heute war's aber nie. 
Seit Jahrzehnten entsinnt sich die Frau keines solchen Tages an der 
Wende des Frühjahres. 
Da zischt es am Fenster nieder. 
„Helf uns Gott!" Ein Blitz fuhr zu Boden. Eine knappe Weile 
später rollt der Donner. Stöße, unter denen die Stube zu sinken 
scheint. 
Das Mädchen an der Seite der Mutter, die blonde Gertraud, 
weint. 
„Der Himmelvater ist bös über die schlimmen Kinder", be¬ 
ruhigte die Frau, „du warst immer brav. Fürcht dich nicht." 
Dann nimmt sie aus der -Lade drei schwarze Kerzchen, wie man 
sie von Altötting heimbringt, dem großen bayrischen Gnadenorte, sie 
anzuzünden beim Gewitter, und stellt sie unter das Bild ö-ei Lieben 
Frau, holt zwei große Edelweißsterne, gepflückt am Feste der Him¬ 
melfahrt Mariens, und wirft sie ins Herdfeuer. 
Wieder fährt ein Blitzstrahl zu Boden, daß die Stube hell aus¬ 
leuchtet. 
„Helf uns Gott!" fleht die Rothmüllerin: wieder dumpf und 
schwer, lange dahinrollend der Donner. Die Schneekörner picken wie 
hungrige Vögel an die Scheiben. e 
Nur halb ist die Mutter bei all' dem, was sie tut und denkt, ti 
Ihr -ganzes Sorgen ist draußen beim -Knaben, der irgendwo ist . . . u 
Sie weiß nicht, -ob unter stcher'm Dach und wohlgehütet oder aus l, 
dem Heimweg mitten im Wald, mitten im Unwetter. £ 
„Himmelmutter", betet sie in ihrer tiefen Not, „Himmelmut¬ 
ter, bring mir den Vinzenz heim, den Buben. Was ich nur bitten 
kann, bitt' ich dich. Maria, hilf! Maria, hilf!" rr\
	        
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