Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1928 (1928)

58 
vom Weinen an, nicht einmal traurig schauten sic- und kerzengerade 
wie immer und hocherhobeneu Hauptes schritt Re Frau daher. Ihrem 
Gatten warf sie einen kurzen, freundlichen Blick zu, die anderen 
Zeugen schien sie zu übersehen, nur -einzelne offenkundige Gegner 
streifte sie verächtlich mit den Augen. 
Während die lange Anklageschrift verlesen -wurde, saß sie 
regungslos ans der Bank. Sie tat fast, als ob das alles sie nichts 
anginge. Beim Verhör gab sie aus sämtliche Fragen des Vorsitzen¬ 
den und der Verteidiger klare, bestimmte Antworten, leugnete aber 
hartnäckig jegliche Schuld am Tode des Kindes. Ihre sichere Hal¬ 
tung machte den besten Eindruck auf Re Richter. Den Daviter ent¬ 
zückte ihr ganzes Auftreten, das so ruhig und hoheitsvoll war, als 
ob sie es eingelernt hätte. Doch nun wurde als Hauptbelastungs- 
zenge die Meinhart-Trandl ausgerufen. Ihr Gesichtsausdruck er¬ 
schien heute noch herber als gewöhnlich, ihre dunklen Wangen glüh¬ 
ten und- ihre Augen funkelten. Sonst trat sie aber ebenso gemessen 
aus wie Re Marialene, sprach ebenso bestimmt und scheinbar ganz 
gleichgültig. Nachdem ihr der Eid abgenommen worden war, er¬ 
zählte sie folgendes: 
„Ich hab am 19. Juni in die Spickalm hinaus müssen mit Salz 
für das Almbieh. Damit ich nicht zu stark in die Sonne komm, bin 
ich schön um halb vier Uhr früh aus dem Wege gewesen. Ich geh 
durch die obere Gasse hinein, da sehe ich auf einmal beim Daviter 
durch die Hintere Tür die Marialene heraustreten mit dem KiNd- aus 
dem Arm. Mir ist ausgefallen, daß sie verdächtig herumspekuliert, 
ob sie von niemanden beobachtet wird,' mich hat sie nicht sehen kön¬ 
nen, weil der Zaun vor der Gasse fast klasterhoch ist. Ich halt mich 
still und schau, was sie macht. Aber gleich lauft sie durch den Birk¬ 
anger herauf und dann ins Mühltal hinein. Jetzt packt mich die 
Neugier uNd> auch ein Verdacht, und ich bin ihr von weitem nachge¬ 
gangen, so daß ich sie nie ganz aus dem Auge verloren hab und daß 
sie mich doch nicht sehen hat können. Drinnen vor der untersten 
Mühle biegt sie auf einmal nach links hinüber zu dem Angersteg. 
Ich schleich ihr zwischen den Erlenstanden vorsichtig nach. Da seh ich, 
wie plötzlich hinter einem Kranebittbusch die alte, krumme Zigeu- 
nerin aussteht und mit den Fingern gabelt, aber kein Wort redet. 
Die Marialene springt gleich! zur krummen Hexe und gibt ihr das 
KiNd in Re Hände,' dann zieht sie das Kopstuch- über Re Augen herab 
und hält sich beide Ohren zu. Die Zigeunerin humpelt auf den Steg 
hinüber, hebt das Kind hoch- aus und wirst es mitten in den Almbach 
hinein, daß das Wasser grad in die Höh spritzt. Ich bin so erschrocken, 
daß ich mich grad an einem Baum hab halten müssen, sonst wär ich 
umgefallen. Zu schreien hab ich mich nicht getraut, weil ich gefürch¬ 
tet hab, es si-Nd noch andere Zigeuner da, und die werfen mich auch 
in den Bach, wenn sie mich bemerken. Wie ich wieder die Angen auf¬ 
geschlagen hab, hab ich von der Zigeunerin nichts mehr gesehen und 
von der Marialene auch nichts. Aber auf der anderen Seite des 
Baches, ans der Wiese, ist jetzt ein fürchterliches Lamento -und 
Schreien losgegangen. Ich hab spekuliert, was los ist, hab aber nichts
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.