Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1927 (1927)

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Landleben. 
Von M. Reisenbichler. 
„Am Brunnen vor dem Tore, 
Da steht ein Lindenbaum . . ." 
Wer kennt nicht das alte und doch schon so oft wieder hervvr- 
gesnchte Lied! Und manchmal tritt utt»' das in Liedern und Ge¬ 
dichten geschilderte Bild in reizender Wirklichkeit vor die Augen. 
Die Sonne hatte ihre rotgoldenen Strahlen hinter die Berg ge¬ 
senkt und über Tannen und Fichtenwälder breitete sich ein matter, 
gelber Schein, als letzter Gruß des scheidenden Lichtgottes. 
Ein stattlicher Bauernhof mußte besonders auffallen, wenn 
man vom Wiesenabhang in das Tab hinunter ging. Wenige Schritte 
vom breiten, grüngestrichenen Hanstor stand der uralte Ziehbrun¬ 
nen, über den eine mächtige Linde ihr dichtes Laubdach spannte. 
Es war Feierabend vorm Erntefest. Trotz der mühevollen Feld¬ 
arbeit sieht man fröhliche Gesichter der Burschen, welche sich unter 
den fruchtbeladenen Obstbäumen versammelt haben und die ge¬ 
schäftig vorbeieilenden Dirnen am Tuch oder Schürzenband zu ha¬ 
schen suchen. Etwas abseits steht an einen der dicken Stämme ge¬ 
lehnt, im gebräunten Antlitz den Schnurrbart streichend, der 
Moarknecht. Recht ungeduldig blickt er, ob seine schwarzäugige 
Schöne, die Großdirn vom Simmler, des schräg gegenüberliegenden 
Bauernhofes, sich nicht auf einige Worte blicken läßt. Nun endlich 
erscheint sie. Im kurzen, blauen Röckchen, die starken, glänzend- 
schwarzen Flechten liegen schwer um den schön geformten Kopf. Es 
ist ein frisches, braunes Gesicht. Bon Jugend und Gesundheit er¬ 
zählen die roten Wangen und die vom weißen Aermel nur bis 
zum Ellbogen bedeckten Arme. Aber seltsam sticht der zögernde Gang 
ab, mit dem sie ihm entgegengeht und die dunklen Augen blicken 
gar nicht lustig und glückverheißend, sondern Mutwille und Zorn 
spiegeln sich in denselben. „Schau, Leni, das is wirkli nit schön 
von dir, daß du mi so lang warten laßt?" „Nanu", meint sie schnip¬ 
pisch, „wärst halt fort 'gangen, wenn du nit stehn bleiben magst. 
I muaß glei wieder eini gehn, denn i Han noch allerhand zum 
Herrichten und d' Bäurin is a grantig!" Er schaut sie prüfend an, 
doch sie hatte ein kleines Blümchen zu ihren Füßen erspäht- bückte 
sich und steckte sich's ans Mieder. „I will di nur fragn", fährt er 
fort, „ob du morgen mitkommst zum Kirchenwirt?" „I geh nit zum 
Fest auf -' Wiesn und tanzen mag i schon gar nit", antwortet sie 
ihm. Da faßt er ihre Hände und schmeichelt: „Was werdn denn die 
Buam sagn, wann 's schönste Dirndl vom, Dorf nit zum Tanz geht, 
und mir z' Liah, Leni, tatst gar nix? Du hast mir vorigs Jähr 
anvertraut, daß du mi a a bißl gern hast, aber bei dem oanmal is 
a blieb« und hiazt laßt di neammer fegn, daß i mit dir redn könnt, 
und — i hab di halt so viel liab!" Als er so traurig vor ihr steht, 
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