Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1927 (1927)

„Wer diese Zauberworte spricht, 
Dem zeig' ich stets mein Angesicht, 
Dem reich' ich helfend meine Hand." 
Hans Leichtfuß, sonst kein Furchthase, griff sich doch vor Schreck 
ans Herz. Er bückte sich zum Männlein und sagte: „Ach mächtiger 
Herr der schwarzen Erde, vergib mir, daß ich dich rief. Ich bin in 
großer Not, und meine Mutter, der Ihr dies Medaillon schenktet, 
sagte mir, ehe sie starb: „Hans, wenn du in wirkliche Not gerätst und 
weder aus noch ein weiht, dann rufe das Salzmännlein." 
„Du tatest recht, mein junger Freund. Ich übe Dankbarkeit, 
und wer mir einst einen großen Dienst erwiesen, hat mich für im¬ 
mer zum Freunde. Klage mir deine Not!" 
„Ach, das ist schnell getan. Ich liebe Elisabeth, die Tochter des 
reichen Sudmeisters Eberhard Vischar, und bat den Vater, mir die 
Tochter zum Weibe zu geben,' aber der stolze Alte lachte mich aus und 
sagte: Das wird nie geschehen, es sei denn, daß ich arm werde." 
Zornig sagte das Salzmännlein: „Diesen Stolz und Hochmut 
des Salzsackes will ich brechen. Durch mich ist er reich geworden und 
durch mich soll er arm werden. Du wirst von mir hören, und in 
vierzehn Tagen komme wieder an diese Stelle lrm Mitternacht. Leb' 
wohl!" Und schon war der winzige Erdgeist verschwunden. 
Hans Leichtfuß ging sinnend am Fluße aufwärts. In die Stadt 
konnte er nicht, sich im Freien ein Plätzchen zu suchen, ging auch 
nicht,' denn es war zu kalt. So wandelte er stundenlang auf und ab. 
Der Morgen graute. Die großen Stadttore öffneten knarr:nd ihre 
riesigen, eichenen Flügel. Da, was war das'? Ein Rollen und Don¬ 
nern und Tosen wie ein Gewitter aus weiter Ferne, dazu ein Er¬ 
schüttern der ganzen Stadt, und im selben Augenblick in allen Gassen 
-er Stadt, in allen Hütten und Bürgerhäusern eine unbeschreibliche 
Aufregung, ein wilder Wirrwarr. Die Turmglocken schlugen von 
selbst an, so heftig war die Erschütterung. Und nun kamen die Bür¬ 
ger aus der Stadt gestürzt und riefen entsetzt: „Ein Erdbeben, ein 
Erdbeben!" Andere jammerten und heulten: „Die Welt geht unter!" 
und flohen in die Kirchen, um im Gotteshaus bei Gesang und Ge¬ 
bet den Tod zu erwarten. Aber in der ganzen Stadt war merkwürdi¬ 
gerweise keinem ein Leid geschehen. Doch von dem großen Salzberg¬ 
werke des Ratsherrn und Sudmeisters Eberhard Vischar traf eine 
schreckliche Botschaft ein: Das ganze Werk, Stollen und Schächte und 
Gänge und Gruben sind zerfallen, aber keiner der Salzer ist im 
Werke. Nur der Sudmeister Vischar ist geschädigt." Aber der Hoch¬ 
mut des Alten war nicht so schnell zu brechen. „Habe ich denn nicht 
Gold genug in den Truhen, das Salzwerk wieder aufbauen zu las¬ 
sen?" sagte er, und schon am Nachmittag zogen hundert Arbeiter 
mit Spaten und Hacke hinaus und gruben und karrten und 
mauerten. 
So ging es Tag für Tag, aber sie kamen nicht vorwärts,' denn 
was sie tagsüber gruben und aufbauten, stürzte des Nachts wieder 
zusammen. Da wurde der Sudmeister immer kleinlauter; denn hun¬ 
dert Arbeiter zu speisen und zu lohnen, ohne etwas zu verdienen,
	        
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