Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1927 (1927)

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ich mir bewußt, daß ich ruhig Blut bewahren und auf alles ein¬ 
gehen müsse, was er von mir wollte. 
„Niedersetzen!" befahl der Kranke, nachdem er — als ob er 
der nüchternste und ruhigste Wann von der Welt wäre — die 
Schärfe des Messers erprobt hatte. 
Er deutete auf einen Stuhl-, aber ich rührte mich nicht vom 
Flecke. 
„Niedersetzen!" wiederholte er und als ich abermals seiner 
Aufforderung nicht Folge leistete, ging er mit unheimlich glühen¬ 
den Blicken, das offene Rasiermesser in der Hand, auf mich zu. 
Ich war wie angewurzelt, ein lähmendes Entsetzen hinderte 
mich an jeder, auch der kleinsten Bewegung. 
Den Kampf mit ihm aufnehmen dachte ich. 
Ja, wenn das Messer nicht gewesen wäre! Oder wenn ich 
gleichfalls ein Messer zur Verfügung gehabt hätte! 
Mit starren Blicken sah ich nach der Schlagader an seinem 
Halse, die wie ein Strick hervorgequollen war. Ein Stich . . . 
„Niedersetzen!" klang zum drittenmal die Aufforderung und 
gleichzeitig fühlte ich, wie sich die Finger seiner linken Hand um 
die meinige krallten und mich auf den Stuhl zwangen. 
„Stillsitzen! Kein Glied rühren!" 
Er trat jetzt zwei Schritte zurück, den wahnsinnslodernden 
Blick aus mich gerichtet, zugleich den Griff des Rasiermessers fester 
umfassend. - 
Ich glaubte nichts anderes, als daß er mir im nächsten Augen¬ 
blick an die Kehle springen werde, hatte aber doch wieder das 
Bewußtsein, daß ich mich unter allen Umständen ruhig und Es alles 
eingehen müsse, was der Kranke von mir verlange. Meine Blicke 
fest aus ihn gerichtet, erwartete ich das Weitere, aber eine Viertel¬ 
stunde verging, dann noch eine, ohne' daß der Wahnsinnige daran 
dachte/seinen Standpunkt zu verlassen, und etwas anderes zu unter¬ 
nehmen, als mich mit seinen grünschillernden Augen zu beobachten 
und manchmal ein tierisches Wiehern auszustoßen. 
Endlich schien er mit feinen Beobachtungen fertig zu sein. 
Er trat auf mich zu und in der nächsten Sekunde schon glitt das 
haarscharfe Messer über mein ohnehin glattrasiertes Gesicht mit 
einer solchen Sicherheit und Geschicklichkeit, wie ich es von meinem 
Raseur nicht gewohnt war. 
Trotzdem war mir fürchterlich unheimlich zu Mute. Das 
Messer in der Hand des Wahnsinnigen . . . Ich glaubte jetzt und 
jetzt, daß er den tödlichen Schnitt durch meine Luftröhre machen 
werde. 
Aber er machte ihn nicht, wie oft auch das kalte Eisen um 
meine Kehle glitt. 
Nun war ich „rasiert" und der Kranke tat einige Schritte 
zurück.
	        
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