Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1927 (1927)

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tut er ihr plötzlich leid. Ja, der hat sie gern, ganz ehrlich meint er 
es, und sie? Sie könnte ihn vielleicht schon gern kriegen, wenn nur 
der andere nicht heimgekommen wäre, der Sohn vom Lindenhof¬ 
bauer, der schon ihr Abgott war, als noch beide mitsammen Pur¬ 
zelbäume schlugen und ans ihre Tafeln Hühnerfüße anstatt Buch¬ 
staben malten. Blitzschnell waren ihr diese Gedanken durch den 
Kopf gejagt und kurz entschlossen sagte sie: „Gut is, dir z'liab geh 
i morgen mit der Traud auf d' Wiesn,' dort treffen wir uns, aber 
tanzen werd i nit, das sag i dir heut schon! Gute Nacht, Hans!" 
„Gute Nacht,, Leni!" So langsam sie gekommen, so schnell trugen ihre 
flinken Beine sie den Weg zurück und bald war sie im Haustor ver¬ 
schwunden. Sinnend sah ihr der Bursche nach, denn ganz anders 
war jetzt seine Leni geworden. Langsam ging auch er in sein Stüb¬ 
chen. 
Eine große, kernige Bauerngestalt, gemütlich sein Pfeifchen 
schmauchend, kam unterdessen von den Ställen her auf das Haus 
zu. Es war der Lindhofbauer. Wirklich eine gesegnete Ernte meinte 
er. Der Hof, das Vieh, die Anbauten, alles könnte in keinem bes¬ 
seren Stand mehr sein, wie es jetzt ist. Seine Blicke streiften die ge¬ 
füllten Scheunen und stolz musterte er sein Anwesen. Nur, daß er 
so ganz allein stand mit allen großen Wirtschaftssvrgen, das be¬ 
kümmerte ihn manchmal. Biel zu früh hatte der Herrgott sein kreuz¬ 
braves Weib, das ihm eine tüchtige Stütze gewesen, von seiner 
Seite weggerufen. Nur einen Buben hatte sie ihm zurückgelassen, 
dem zuliebe hatte er allein weiter gelebt, obgleich manche Bauers¬ 
tochter dem damals noch jungen, feschen Witwer nachgeguckt hatte. 
Nie würde er es bereuen, daß er so gehandelt und einen Pracht- 
jungen hatte er sich erzogen: groß, stark und blühend. Kein Wun¬ 
der, daß der stramme Landmann auch seinem Kaiser dienen mußte. 
Manche Auszeichnung hatte er sich verdient, aber was seltener ist, 
ein schlichtes treues Herz bewahrt für seinen Vater und seine Hei¬ 
mat. Vor sechs Wochen war er zurückgekehrt. Das war eine Freude, 
ein Festtag für den Lindhofbauer, als er mit väterlichem Stolz sei¬ 
nen Buben, den Bertl, in die Arme schloß. Wo er denn nur heute 
wieder steckt, der Schling!, setzte der Lindhofbauer seinen Gedan¬ 
kengang fort und „Bertl, he, Bertl!" scholl es in das Haus hinein. 
Als aber keine Antwort erfolgte, beschloß er noch ein Weilchen am 
Hausbänkchen den Abend zu genießen. 
Er mochte etwa ein Viertelstündchen gesessen haben, als mit 
einem fröhlichen Jauchzer ein gelenkiger Bursche sich über den 
Zaun schwang und mit einem erstaunten: „Du bist noch Heraußen, 
Bata?" auf ihn zukam und sich neben ihn fetzte. „Es ist ja schön 
heut", sagte der Lindhofbauer, „aber mir scheint, du hältst erst un¬ 
längst deinen zwölften und nit vierundzwanzigsten Geburtstag 
ßf eiert, weil du über die Zäun springst und nit den gradn Weg 
gehn kannst." „Das schaut nix", meinte lachend Bertl, „wenn ma 
nur auf a andere Weis' am gradn Weg geht. Aber daß i dann 
über die Trübsal, dö im Lebn kemman, just so an Sprung mach, 
wia über an Grabn oder Zaun, gelt, dös erlaubst a." „Recht hast",
	        
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