Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1926 (1926)

9.1 
könnte! Aber kein Tränlein kam noch in seine Augen bei all dem 
Jammer. Als der Junge zur Zeit des Weltkrieges eines Tages 
auch hinausziehen mußte, das Herz voll Mut und Begeisterung, da 
hatte er sich mit der flachen Hand die Tränen aus den Augen ge¬ 
wischt und war an die Arbeit gegangen, hinaus in seinen gelieb¬ 
ten Wald. Stete treue Pflichterfüllung und das heilige Waldes¬ 
rauschen hatten ihm allmählich über das bittere Trennungsweh 
hinweggeholfen, welches der Abschied von seinem einzigen Kinde 
ihm verursacht hatte. Und wie vor zehn Jahren sein Weib starb, 
hatte ihn dies nicht sonderlich gerührt, denn sie verstanden sich nie 
so recht miteinander und es blieb ihm ja noch der Junge, der für 
ihn den ganzen Lebensinhalt ausmachte. Nun war auch der noch 
gegangen, daß er jetzt allein in der Welt dastand, so einsam im 
Alter, das ohnehin so still und leer ist, weil es keine Hoffnungen 
und keine Träume mehr hat. Nein, diesen Schmerz so groß und 
so namenlos konnte er nicht überwinden. Sein Blick fällt zufäl¬ 
lig auf den Spruch, der in großen Lettern über seinem Arbeits¬ 
tische geschrieben steht: „Für einen Sprung in Herz und Glas 
gibt's keinen Doktor, merk' dir das!" Mit bitterem Lächeln spricht 
er ihn vor sich hin,- noch nie empfand er die Wahrheit dieses Aus¬ 
spruches so deutlich wie heute. 
Eine Weile noch brütet der Heger Helbich dumpf vor sich hin, 
dann springt er jäh auf. Der entsetzliche Gedanke, der sich schon 
während der Nacht, anfangs ganz leise pnd wesenlos, später im¬ 
mer deutlicher und bestimmter vor die Seele drängte, ist nun bei 
ihm zum festen Entschlüsse geworden. Ist der Junge tot, mag 
und kann er auch nicht mehr leben: niemand liebt ihn mehr, nie¬ 
mand braucht ihn mehr, was soll er so allein und einsam auf der 
Welt? Drum fort mit diesem Blendwerk, das sie Leben nennen! 
Er ist so matt, so entkräftet, ein paar Ständen draußen im 
Walde in der eisigen Winternacht und — alles hat ein Ende, still 
ist das heiße brennende Weh in der alten Brust. Mit fast irren 
Blicken sucht er Hut und Stock,- dann schließt er das finstere, ein¬ 
same Haus hinter sich zu und schlägt den Dorfweg ein. Einen 
Augenblick bleibt er wie zögernd stehen. Sollte er nicht noch ein¬ 
mal auf den Friedhof hinaufgehen an das Grab seines Sohnes? 
Doch nein, er kann den Anblick des frischen Grabhügels mit den 
aufgetürmten Kränzen und den Geruch von Blumen und Reisig 
heute nicht mehr ertragen. Rasch eilt er weiter den Dorfweg ent¬ 
lang und schlägt die Richtung gegen den Wald ein. Ab und zu 
dringt aus den Häusern des Dorfes lautes Lachen und Kinderjubel 
an sein Ohr, da zieht er den Hut tief in sein verstörtes Gesicht 
und hält sich die Ohren zu,- er will nichts sehen und nichts hören 
mehr von der Welt, alles klingt wie Hohn in seine Seele hinein.
	        
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