Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1926 (1926)

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Ein Weihnachtsabend. 
Es war am Nachmittag vor Sem heiligen Abend; die Winter¬ 
sonne wirft noch ein paar bleiche, schräge Strahlen über die ver¬ 
schneiten Häuser und Felder, dann sinkt sie wie müde hinter die 
Berge und die Dämmerung bricht herein. Stiller, heiliger Weih- 
nachtssriede senkt sich über das kleine Gebirgsdorf, dessen Häuser 
wie zierliche Schwalbennester auf den Bergen und Hügeln stehen. 
Wie klein und armselig die Hütte auch sei, heute umspinnt sie der 
süße märchenhafte Zauber der Weihnacht. Bläulicher Rauch wir¬ 
belt aus Schornsteinen empor und in den kleinen Fenstern 
flammt ein Lichtlein nach dem andern auf, denn die geschäftigen 
Frauen und Mütter haben so vieles zu beschaffen und zu ordnen, 
ehe das liebe Christkind kommt und seine Gaben austeilt. Hin und' 
wieder trippelt noch jemand geschäftig über den schmalen hartge¬ 
frorenen DorfweU aber jeder sucht so rasch als möglich wieder in 
die warme Stube zu seinen Lieben zu kommen. 
Eines der kleinen Häuser, ganz am Ende des Dorfes scheint 
kein Leben in sich zu schließe^, denn weder Licht noch Rauch ist zu 
sehen, alles scheint wie ausgestorben. Und doch ist der pensionierte 
Waldheger Gustav Helbich zu Hause. Stumm und müßig sitzt er 
beim längst erloschenen Herdfeuer und blickt wie geistesabwesend 
immer stier vor sich hin. Ach, das Unerhörte, das ihm in diesen 
Tagen widerfahren, hat ihn alles andere in der Welt vergessen 
lassen, weder Speise noch Trank hat er seit gestern zu sich genom¬ 
men, kein wohltuender Schlaf hat auch nur ein Stündchen das 
brennende Weh in der alternden Brust gestillt. Daß heute heiliger 
Abend ist, kommt ihm gar nicht in den Sinn. „Tot, tot, mein ein¬ 
ziges Kind, mein. Sohn!" Alle Mühen und Leiden des Krieges hat 
er mitgemacht, allen Gefahren im Felde und in der Gefangenschaft 
war er glücklich entgangen und nun war er vor wenigen Tagen 
bei einer großen Treibjagd tödlich verunglückt; heute morgens 
haben sie ihn aus dem kleinen Dorffriedhofe zur letzten Ruhe ge¬ 
bettet. Was half es, daß die Beamten des Forstamtes sich vollzäh¬ 
lig am Leichenbegängnisse beteiligten, was halfen all die vielen 
Beileidsschreiben? Sein Kind machten sie ihm doch nicht mehr 
lebendig. „Warum gerade er?< kommt es qualvoll über seine 
fahlen Lippen und er schlägt die Hände vor das eingefallene Ge¬ 
sicht. Ja, wenn er nur wenigstens so nach Herzenslust weinen
	        
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