Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1926 (1926)

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jedem ihrer Tische zu treffen. Im Trinken sind die Amerikaner sehr 
mäßig, und ein Berauschter ist eine ebenso verachtete Person als seltene 
Erscheinung. Diebstahl und Rausch sind in ihren Köpfen die einzigen 
Verbrechen, aus den übrigen Sünden machen sie sich nichts. So ist 
z. B. Unzucht bei ihnen eine Schwache, nicht der Rede wert. Eh, Mon¬ 
sieur, diese Leute haben eine ganz saubere Moral! — Ach die Sekten, 
die Sekten! — 
Die Leute werden in Texas nicht alt, die Mexikaner und Indianer 
noch am ältesten. Aerzte gibt es wenig, und diese sind meist Charla- 
tans, da begreiflicherweise die geschickten hübsch zu Hause bleiben und 
nur die Marktschreier zu uns sich verirren. Euere deutschen Zeitungen 
sind radikal,- aber bei uns doch noch radikaler. Da es in unserer 
Republik in Regierungssachen nicht viel zu beschimpfen gibt, so müssen 
die katholische Religion, der Papst -und die Bischöfe samt dem Klerus 
herhalten. Das beste ist, es bekümmert sich niemand viel um diese 
Schimpfereien, da jeder etwas Wichtigeres zu tun und Arbeit vollauf hat. 
Doch genug von allgemeinen Schilderungen, ich will lieber noch ein 
eigenes Abenteuer mit den Indianern erzählen. Eh, mon cher, das war 
eine ernste Geschichte. Ich ritt einmal von einem Versehen heim und 
ritt, um den Weg abzukürzen, eben durch den Wald, in dem ich das 
Abenteuer mit den zwei Panthern hatte. Es war ein herrlicher Abend- 
die Sonne stand schon tief und ich trieb mein Pferd an, um vor Nacht 
mein Pfarrgebäude zu erreichen. 
Als ich mitten im Walde war, hörte ich von weitem verworrene 
Stimmen untereinander und nach einem kurzen Ritte von höchstens 
300 Schritten sah ich eine Jnöianerhoröe und sie wich. Das war ein 
ernstes Zusammentreffen! Die Bürger vor Castroville hatten den In¬ 
dianern den Tod geschworen und sie niedergeschossen, rpo sie ihnen be¬ 
gegneten, und die Indianer taten dasselbe mit ihren vergifteten Pfeilen. 
Veranlassung dazu gaben die häufig vorkommenden Diebstähle, beson¬ 
ders Pferöeöiebstühle von seiten der Indianer, wobei auch ich zu Scha¬ 
den kam, wie schon erwähnt. - 
Monsieur, denken Sie sich jetzt meine Lage! Die Indianer hatten 
mich kaum erblickt, so ließen sie mich nicht mehr aus den Augen. An 
ein.Entfliehen dachte ich nicht,' weil ein Hagel von vergifteten Pfeilen 
mir den sicheren Tod gebracht hätte. 
Ich ritt auf sie zu. Sie waren in Gruppen auf der Erde gelagert. 
Die Weiber mit ihren Kindern saßen am Feuer herum, einige ältere 
Männer gingen auf und ab, die jüngeren samt den Knaben waren mit 
Pfeilwettschießen beschäftigt. Dieses Spiel besteht darin, daß einer 
nach dem andern auf ein Ziel schießt, und der beste Schütze erhält die 
abgeschossenen Pfeile der anderen. Sie ließen, als sie mich gewahrten, 
von ihrem Spiele ab, und in der kürzesten Zeit war ich von ihnen um¬ 
ringt. Der Stamm mochte gegen 200 Köpfe zählen. 
Ich redete sie englisch an, doch sie glotzten mich an, und es war 
gewiß, daß sie mich nicht verstanden. Einer unter ihnen, ein wahrhaft 
'schöner Mann, im mittleren Alter, trat auf mich zu, musterte mich 
vom Kopf bis zum Fuß und deutete mir mit der Hand an, daß ich vom 
Pferde steigen möge. Ich gehorchte maschinenmäßig. 
»Er sah hierauf bald auf mich, bald auf seine Stammgenossen, als 
wollte er sie fragen, ob sie zum Morde schreiten wollten. Die älteren 
^Männer spannten wirklich ihren Bogen und setzten Pfeile ein, hielten 
den Bogen bereit und erwarteten sein weiteres Kommando. Es war 
eine furchtbar peinliche Situation für mich, die fürchterlichste meines
	        
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