Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1926 (1926)

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Woche um Woche verging, ohne Laß ich irgendeine Stelle 
erhalten konnte. Endlich erbarmte sich ein Gutsbesitzer namens 
Schwaiger meiner. Bei geringem Lohn mußte ich da den.Lücken¬ 
büßer für alle Dienstboten desselben machen. | 
Zu Hause hatten indessen der Hunger und der Jammer wie¬ 
der tief eingerissen. Meine teure Mutter bekam wohl infolgedessen 
einen Blutsturz,' sie mußte in das Spital gebracht werden, meine 
kleinen Geschwister in das Waisenhaus. 
Etwa ein Jahr war ich bei dem Herrn Schwaiger im Dienst. 
Der Allerseelentag nahte heran. Mich zog die Sehnsucht nach dem 
Grabe des unglücklichen Vaters und zu der geliebten Mutter hin, 
welche ich im Spital besuchen wollte. Trübsinnig machte ich mich 
daher auf den Weg nach Altenstadt, wobei ich den oft genannten 
Wald passieren mußte. 
In der Nähe der Ziegelei Harö begegnete mir ein junges 
Mädchen, welches ich an ihrer schmächtigen Gestalt sofort als Julie 
Hard erkannte. Ihre dunklen Augen leuchteten hell auf und ihre 
blassen Wangen röteten sich sanft, als sie mich erblickte. Ich aber 
sah in ihr die Tochter und Schwester der Vernichter unserer ma¬ 
geren Existenz und unwillig wandte ich mich ab von ihr. 
„Bist du nicht mehr so gut und geduldig wie früher?" fragte 
sie mich, trotz meines ungerechten Benehmens gegen sie. 
Aber was ging mich ihre Unschuld an der Hartherzigkeit der 
Ihrigen an? Rauh stieß ich die.Worte hervor: „Meine Todfeinde, 
deine Eltern, haben mir alles genommen!" 
Eiligen Schrittes ging ich weiter. Der dichte, friedliche Forst 
umgab mich. „Wie wehe habe ich gerade dem einzigen Wesen ge¬ 
tan, das mir außer meiner Mutter ungetrübt gut war", rief ich 
voll bitterer Reue nach wenigen Minuten schon aus. Soll ich zu 
ihr zurück, um meine Roheit gutzumachen?" 
Bevor ich einen Entschluß gefaßt, sah ich etwas, das meine 
ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Da — dicht vor mir 
lag ein verendendes junges Reh im Waldgraben. Das brechende 
Auge des Tierchens rührte mich. Ich sprang in den Graben, 
bückte mich darnach und wollte eben den zierlichen Kopf desselben 
etwas in die Höhe heben, als sich eine schwere Hand auf meine 
Schulter legte. „Endlich hab' ich ihn, den Gauner, der mir das 
junge Wild zuschanden schießt und wegstiehlt." Es war der in 
Altenstadt stationierte Forstwart, der mich festhielt. 
„Lächerlich!" stotterte ich. „Da komme ich gerade vom Schwai¬ 
gerhofe her, trage weder Stock noch Gewehr!" 
Meine Verteidigung schien dem Manne einzuleuchten. 
„Du kannst gehen, entwischen tust ja nicht, für den Fall du 
doch schuldig bist!"
	        
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