Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1926 (1926)

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dern — ich das Gehör. Es fiel mir ja auf einmal ein, daß ich auch 
mich selbst nicht sprechen hörte. 
Bei dieser Entdeckung schluchzte ich eine volle Stunde lang. 
Wiederholt fragte ich nach den Geschwistern, aber ich bekam 
immer nur die Anna und den Paul zu sehen. Endlich schrieb 
mir die Mutter den Grund hiefür auf meine Schiefertafel. Ich 
hatte damals an dem verhängnisvollen Tage neben dem Wund¬ 
fieber auch die Halsbräune auf denn Eis gefangen. Drei meiner 
Geschwister wurden von mir angesteckt,- sie sind an der bösen 
Krankheit gestorben, während ich erhalten blieb. 
Auch den Vater erblickte ich an diesem Abend zum ersten 
Male wieder. Er hatte sich sehr verändert,- graue Haare, sanftere 
Augen und — verarbeitete Hände waren jetzt an ihm 
bemerkbar. Als er von meiner Taubheit erfuhr, schaute er mich 
mit mitleidigen Augen an. Ich sah zwei große Tränen über seine 
Wangen rollen. Reuetränen! Nun streckte ich die mageren Arme 
nach ihm aus,- fast zögernd kam er zu mir her, da schlang ich sie 
um seinen Hals und stotterte ihm zu: „Ich will in Zukunft im¬ 
mer brav und gottesfürchtig sein." Er preßte mich fest an sich und 
verließ nachher die kleine Schlafstube mit eiligen Schritten. Ein 
Arzt kam, um meinen Hals und meine Ohren zu untersuchen. 
Derselbe schien der geängstigten Mutter einige Hoffnung zu ma¬ 
chen, denn ich sah, wie über ihr Gesicht ein kurzer, heiterer Schein 
huschte. Und richtig! Nach mehreren Wochen der heftigsten Ohren¬ 
schmerzen kehrte dann auch das Gehör soweit bei mir zurück, daß 
ich die Stubentüre öffnen und schließen sowie laut geführtes 
Gespräch hören konnte. Nun staunte ich aber sehr über meine hei¬ 
sere Stimme und namentlich über die große Mühe, die es mich 
fort und fort kostete, einen zusammenhängenden Satz' auszuspre¬ 
chen. War ich erregt, so brachte ich gleich gar nichts als unarti¬ 
kulierte Laute heraus. Ich war also in der kurzen Zeit ein 
Schwerhöriger und ein Stotterer geworden. 
„Das alles habe ich dem Christel Hard zu verdanken. 
Wie gerne ginge ich in die Schule zurück, wenn ich nur den 
nicht mehr träfe dort!" sagte ich. 
„Füge dich, Kind! ermahnte mich die Mutter ernstlich. „Chri¬ 
stel darf dir nichts mehr tun. Seine lügenhafte Aussage gegen 
dich wurde entlarvt und Christel von Lehrer und Vater dafür 
gestraft. Herr Hard ist seitdem sehr gut mit uns. Er hat deinen 
Vater sogar in die Ziegelei eingestellt und ihm hohen Lohn zu¬ 
gesichert." 
Es war so; Christel wagte nicht, mich zu verfolgen. Aber 
er haßte mich dennoch, das sah ich seinen bösen Augen an und er¬ 
freute sich, wenn ich verspottet wurde. Meine Gebrechen gaben
	        
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