Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1926 (1926)

110 
gehörte. Was verstehen denn diese weltfremden Klosterfrauen vom 
Leben und gar von der Sehnsucht eines jungen, wilden Mäöchenher- 
zens, das ja gar kein Verlangen nach Gebet und Messe fühlt. Die 
Eltern wieder fanden sich beruhigt, da sie ihre aufgeregte Hummel in 
guten Händen wußten. 
Anitta und ihre guten Freundinnen waren moderne Mädchen ge¬ 
wesen. Die Eltern ahnten so gar nicht, welche Gedanken ihre wohl¬ 
erzogenen Töchter heimlich nährten. Anitta sah sich noch als fünfzehn¬ 
jähriger Backfisch im blauen Etaminkleid und dem losen Haarknoten. 
Da hatte zum erstenmal der Klavierlehrer ihr bewundernd gesagt, daß 
sie eine rassige Brünette sei. So was vergißt ein Mädel nicht leicht. 
Daun hatte der Hausdiener des Pensionats ihre Post heimlich besorgt. 
Zuerst die verrückten Gedichte von einem albernen Polöl Pibersack, d^r 
ihretwegen bei der Matura öurchfiel. Dann die hymnischen Herzens¬ 
ergüsse des schlampig-genialen Stragozzi, des dunklen, hübschen Beppo, 
der das Konservatorium besuchte und alle Arien virtuos auswendig 
pfiff. Etwas Neues bedeutete für Anitta der schneidige Techniker Arem, 
der als Burschenschafter in Couleur prangte und der Anitta die Ferien 
verschönerte. Hans Arem wußte frohe Lautenlieöer zu singen, schwamm 
vorzüglich und war ein sportgestählter Gesell. Als dann die Kloster¬ 
zeit um war und Anitta die Pension verließ, erhielt sie Tanzunterricht. 
Ihr erster Ball glich einem Triumph. Die Herren rissen sich um einen 
Tanz mit der hübschen Hummel. Theater, Konzert, Ausflüge u. dgl. 
erfüllten Anittas letzte Backsischjahre. Als die Eltern endlich dräng¬ 
ten, daß sie auch einmal heiraten müsse, wachte Anitta große Augen. 
Daß das auch sein mußte. Sie war doch ein modernes Mädchen. Da 
hatte das Heiraten Zeit. Mit Neunzehn erhörte sie den feschen Wer¬ 
bautz, knapp vor Ausbruch des Weltkrieges. Alles schien trefflich. Die 
Eltern gaben eine ausreichende Apanage, die Wohnungseinrichtung war 
schon eingekauft. Bis zum Zusammenbruch ging alles gut. Da verlor 
Werbautz, der als Artillerieoberleutnant im Felde stand, knapp vor 
dem Waffenstillstand den linken Fuß. Als nervöser Krüppel kehrte 
er zurück. Das traf die lebenslustige Hummel tief. Sie fühlte sich zu 
jung und zu hübsch, um dem ernst und still zurückgekehrten Mann eine 
treue Gefährtin zu sein. Dazu kam noch die Geldentwertung, die das 
elterliche Vermögen in eine verschwindend kleine Zahl verwandelte. 
Der Zuschuß von zu Hause war infolgedessen hinfällig. Das Gehalt 
ihres Mannes reichte knapp zum notwendigen Haushalt aus, Anitta 
sollte auf neue Kleider verzichten, sollte den Theaterbesuch, ausgeben, 
sollte selbst kochen und im Haushalt ordentlich nach. dem Rechten sehen. 
Anitta wehrte sich. Sie war ja eine junge, hübsche, lebenslustige Frau. 
Sie Hatte ja doch nicht geheiratet, um dann Pflichten auf sich nehmen zu 
müssen. Es war doch Sache des Mannes, seine Frau ordentlich zu 
erhalten. „Schau, andere verdienen das Geld in Haufen, und du, du 
bist zu dumm dazu!" Da hatte Georg Werbautz sie verächtlich angesehen 
und war hinausgeschlichen. Die Ehe war unerquicklich geworden. Der 
kleine Georg und die zarte, etwas kränkliche Anitta, ihre Kinder, hqtte 
sie kurz entschlossen ihren Eltern anvertraut. Sie selbst hatte zwar 
die gerichtliche Scheidung, des Aufsehens halber vermieden, war jedoch 
von ihrem Manne fort und hatte sich mit Protektion eine Stelle in 
einer neugegründeten Bank gesucht. 
Merkwürdig, wie ihr das alles so einfüllt Und daß sie just nach 
vielen Jahren so ganz plötzlich in eine Kirche fand. Weihrauch zieht in 
seinen Schwaden an den flimmernden Kerzen vorbei. Frische Frühlings¬ 
blumen duften in zartem Gebet. Die Orgel setzt aus, ein weißhaariger
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.