Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1926 (1926)

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Und damit könnte ich eigentlich schließen. Doch halt! Daß ich nicht 
auf das Taufmahl vergesse, das einer kleinen Hochzeit ähnlich sah. Der 
Herr „Taufgöd" wurde habet recht gut aufgelegt, was gar nicht zu ver¬ 
wundern war, da er die edelsten Tropfen aus seinem Keller herbei¬ 
schaffen ließ. 
Noch etwas! Als sich der Bürgermeister zuletzt bei der Kinöes- 
wutter verabschiedete, fiel ihm erst ein, daß er von dem Fabriks¬ 
direktor, der natürlich von allem unterrichtet war, etwas un die Frau 
auszurichten hatte., „Es hat nämlich die Inhaberin der Kantine, ber 
welcher die ledigen Fabriksarbeiter ihre Mahlzeiten einnahmen, ge¬ 
kündigt, weil sie eine bessere Stelle in Aussicht hat," erklärte der Bür¬ 
germeister. „Als nun der Herr Direktor von Ihnen erfuhr, meinte er, 
Sie könnten leicht den Posten übernehmen. Soviel wird er schon tragen, 
daß Sie mit ihren Kindern davon leben können. Sind Sie damit 
einverstanden?" 
Die Tränen traten der Witwe in die Augen. „O du liebe, himm¬ 
lische Mutter, wie belohnst du mein Vertrauen zu dir so reich!" betete 
sie, ihre Hände faltend, dann entgegnete sie auf die neuerliche Frage 
des Bürgermeister. „O gewiß, mit tausend Freuden nehme ich die Stelle 
an. Ich hoffe, daß ich sie zur Zufriedenheit des Herrn Direktors führen 
werde." — 
Heute ist Mohrau bereits eine Stadt, die von Jahr zu Jahr einen 
größeren Aufschwung nimmt. Von all den Festlichkeiten, die anläßlich 
der Erhebung zur Stadt abgehalten wurden, will ich nur berichten, daß 
der Herr Bürgermeister acht Tage lang nicht aus der Sonntagshose 
herauskam, und sich geäußert hat, daß er für seine Bemühungen um 
das Gelingen der Feierlichkeit einen Orden oder mindestens ein Ver¬ 
dienstkreuz oder zum allerrtrindesten das Ehrenbürgerrecht der neuen 
Stadt verdiene. Vielleicht bekommt er mit der Zeit eines von diesen 
dreien. 
Vielleicht ist jemand meiner freundlichen Leser zuletzt noch neu¬ 
gierig, was denn aus dem fünftausendsten Einwohner von Mohrau ge¬ 
worden ist? Nun darüber läßt sich heute noch nichts Bestimmtes sagen, 
da er kaum sein erstes Höslein zerrissen hat, doch vielleicht kann ich in 
zwanzig Jahren, wenn ich und der neugierige Leser noch leben, darüber 
berichten. Wahrscheinlich aber wird aus ihm einmal was Großes wer¬ 
den, denn seine Mutter kann sich nicht genug darüber,wundern, was für 
ein gescheiter Bub ihr Poldl, er erhielt nämlichen diesen Namen nach 
seinem Paten, dem Herrn Bürgermeister, sei. 
-<Kg)N^>- 
Die letzte Maiandacht. 
Von Hans Virnstingl. 
In einem stillen Winkel der großen, kühlen Kirche kniet Fran 
Anitta. Ganz zusällig ist sie vorübergekommen. Mein Gott, sie war 
ja schon viele Jahre in keiner Kirche mehr gewesen. Als sie noch im 
Pensionat bei den Sacre-Coeur-Schwestern ihre frühen Mädchenjahre 
verbrachte — aber das war jetzt schon mindestens fünfzehn Jahre her — 
da hatte sie bei keinem kirchlichen Ereignis fehlen dürfen. Sie hatte 
das damals so mit in Kauf genommen, weil es eben zur Hausordnung
	        
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