Volltext: Salzkammergut-Familien-Kalender 1926 (1926)

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so gefügt, daß einer so würdigen und armen Familie das Kind geboren 
warb, welches gerade der fü nftausenö st e Einwohner 
u n s e r e s M a r k t e s i st." 
Und ehe noch Aennchen Zeit gefunden hatte, über diese Worte nach¬ 
zudenken, rief der Herr Pfarrer die Magd herein, welcher er den Auf¬ 
trag erteilte, zum Herrn Bürgermeister zu gehen. 
Nach einer Viertelstunde erschien auch schon der Bärenwirt in Be¬ 
gleitung eines Gemeinöerates im Pfarrhofe, trat auf öas Verschüchterte 
Mädchen zu und sagte, sich gravitätisch vor dasselbe hinstellend: „Ich 
entbiete deiner Mutter meinen herzlichen Gruß. Sage ihr, das Kind 
ist gerade der fünftausenöste Einwohner von Mohrau. Der Gemeinde- 
rat hat bezüglich dieses seinerzeit einen Beschluß gefaßt, den ich deiner 
Mutter bei Gelegenheit mitteilen werde. 
Das Mädchen prägte sich diese Worte genau ein und berichtete sie 
der Mutter. Auch diese konnte sich den Sinn öerselbeu nicht zurecht¬ 
legen. „Hm, wer weiß, was da herauskommt," meinte sie,- „wenn nur 
die Muttergottes einen Paten schickt!" 
Doch die Witwe sollte an diesem Tage aus dem Staunen gar nicht 
herauskommen. Es war die Mittagsstunde. Die Kinder schickten sich 
eben an, öas karge Mittagsbrot zu verzehren, während sich die Mutter 
eine Suppe aus dem nächsten Gasthause hatte holen lassen, da öffnete 
sich die Türe unö die Köchin aus dem Bärenwirtshaus kam mit einem 
umfangreichen Korbe am Arm herein. Sie sah kaum die Kinder, welche 
sich gerade zum Essen niedersetzten, als sie dazwischen fuhr: „Nein, nein!" 
rief sie,- „heute braucht ihr diese kalten, wenig nahrhaften Speisen nicht, 
da hab' ich was anderes für euch. Und diese dünne Suppe ist nichts 
für euch, gute Frau",- damit wandte sie sich an die Wöchnerin und nahm 
ihr kurzer Hand die Tasse weg,- „da versucht einmal diese Suppe." 
Unö nun packte sie vor den Augen der erstaunten Frau aus, eine 
kräftige, einladend duftende Suppe, Fleisch, Braten unö Backwerk, daß 
den Kindern schon beim Zusehen das Wasser im Munde zusammenlief. 
Einen Teil stellte sie für die Mutter abseits und auf das übrige deu¬ 
tend, sagte sie zu den Kindern: „So, Kinderchen, jetzt laßt euch's 
schmecken!" 
Unö ob sie sich's schmecken ließen! Die Köchin hatte ihre Freude 
beim Zusehen. 
Die Witwe hatte bisher nicht Zeit gefunden, ihrem unbeschreib¬ 
lichen Staunen Ausdruck zu verleihen. Doch als die Köchin nun auf 
einem Brette die ihr zugedachten Gerichte vor sie hinstellte, sagte sie mit 
unsicherer Stimme: „Woher ist denn um Gottes willen das? Ich kann 
mtzr öas alles, nicht erklären." 
„Ratet halt ein bißl," lachte die Köchin. „Uebrigens tn wenigen 
Stunden werdet ihr alles erfahren. - 
Nach einiger Zeit packte sie die leeren Schüsseln unö Teller zusam¬ 
men unö eilte in das Bärenwirtshaus zurück. 
Nach zwei Stunden klopfte es neuerdings an die Türe des ein¬ 
fachen Gemaches, wo die Wöchnerin lag,, die noch immer darüber nach- 
oachte, welchen Grund denn eigentlich diese reichliche Bewirtung haben 
möge. Diesmal trat zu ihrem Erstaunen der Herr Bürgermeister 
selbst mit seiner Frau und zwei Gemeinderäten ein. / 
„Sie werden sich unser Erscheinen gar nicht erklären können," 
begann der Bürgermeister,- „aber wir wollen es Ihnen sofort sagen 
Wir haben öas Versprechen erhalten, daß unser Markt zur Stadt er-
	        
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