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die da blühten und welkten, und für
die armen Seelen zu beten.
Und sie Hatte ihre Freude unter
den stillen Schläfern — die, deren
Ruhestätten niemand schmückte. Ein
solches Grab hatte sie erst vor wenigen
Wochen wieder entdeckt. Und dahin
zog es sie seither mit unwiderstehlicher
Gewalt. Auch heute näherte sie sich
der bekannten Stelle. Dort winkte
schon das weiße Kreuz, dessen Anblick
sie immer so seltsam berührte. Corne-
lie Fried hatte sie geheißen, die da un¬
ten schlief. Eine junge Frau, erst kürz¬
lich verstorben; ihr Gatte und ein Kind
trauerten ihr nach. So erzählte we¬
nigstens das Kreuz. Der kahle, ver¬
lassene Hügel verneinte die Trauer.
Aber diesmal — Melanie wich er¬
schrocken hinter die Mauer der nahen
Kapelle zurück — diesmal kniete ein
Kind am Grabe. Nicht in Andacht;
die großen Augen blickten scheu in die
Fräulein Marianne Huber
Lehrerin in Gmunden, starb am 17. Oktober
1918 um 2 Uhr nachmittags nach kurzem Leiden
und Empfang der heil. Sterbesakramente im
31. Lebensjahre an Grippe.
Der Onkel war mittlerweile mit den
Seinen nach einem andern Ort über¬
gesiedelt. Nur den kleinen Hans hat¬
ten sie zurückgelassen — unter dem
Rasen. Und auch dies Grab hatte die
verwaiste Seele angezogen.
Es fügte sich, daß Melanie das Haus
und den Garten erwerben konnte, an
welche sich für sie so viele schmerzlich-
süße Erinnerungen knüpften, und da
lebte sie nun, sern von allem Verkehr
und spann sich ein in ihre eigene Welt.
Ach, es war eine traurige, liebeleere
Welt. Und es war kein Leben. Es
war ein stilles Dahinsiechen und Ster-
Den der Seele.
Melanie kam häufig auf den Kirch¬
hof. Hier liebte sie cs, zwischen den
Gräbern zu wandeln, die Inschriften
der Denksteine und Kreuze zu lesen,
die Sprache der Blumen zu deuten,
Frau Aloisia Gattinger
Maschinenwärtersgattin in Steyrermühl, starb
am 4. November 1918 im 32. Lebensjahre.